Süchtig
Kreischen der Räder fast übertönt wurde.
Ein metallisches Klicken. Es knallte ein paar Mal. Chaos. Dann wurde es dunkel um mich.
40
Der Tod sieht aus wie eine Blondine mit einer Waffe in der Hand. Sie kommt mir bekannt vor.
Weiches Licht umschmeichelt ihre Haut. Es gerät in fließende Bewegung, als sie meine Wunden salbt, mir eine Pille auf die Zunge legt, meinen schlaffen Körper aufrichtet.
»Ein Schlafmittel«, sagt sie.
Vielleicht sieht jeder Sterbende diese Vision.
Dann geht sie. Aber vorher legt sie mir noch etwas in den Schoß.
Ein Handy. Selbst im Tod gibt es noch Handys.
41
Die Pharmaindustrie hat den Schlaf voll im Griff. Mit den Träumen ist es eine andere Sache.
Schlaftabletten stellen das Gehirn komplett ruhig. Leider ist das für die Erholung gar nicht günstig. Delfine schalten im Schlaf nur eine Gehirnhälfte aus, die andere bleibt wach. Zum einen, weil die Räuber der Ozeane rund um die Uhr aktiv sind, zum anderen, weil sie so jederzeit zum Spiel bereit sind. Unser Gehirn erholt sich bei den surrealen Tollereien der Traumphasen.
Ich dagegen war an einem traumlosen Ort ohne Zeit gelandet, der trübsinnig war wie der Tod. Nur dass man aus dem Tod nicht erwacht. Zumindest hat man wohl nicht solche Schmerzen wie ich, als ich mich in Fötalposition auf dem blutverschmierten Boden von Samanthas Praxis wiederfand. Mühsam öffnete ich ein Auge. Undurchdringlicher Nebel lag über meinem Gehirn, der schlagartig von einem stechenden Schmerz zerrissen wurde, als ich versuchte, mich über den Arm auf den Rücken zu drehen.
»Verdammter Mist!« Stöhnend ließ ich mich auf den Bauch zurücksinken und drehte den Kopf nach rechts. »Die Pumpe schlägt ja noch!«
Bruchstückhaft kam die Erinnerung zurück.
Schüsse. Velarde stürzt. Eine Sandale, ein Bein in Jeans. Eine kühle Hand dreht mein Gesicht zur Seite. Forschende braune Augen sehen mich an. Dann wird es schwarz um mich.
Hatte der blonde Engel Velarde und Weller außer Gefecht gesetzt oder getötet? Ich stützte die Ellbogen auf Samanthas Liege und atmete tief ein. Die abgestandene Luft roch nach Kampf. Meine Synapsen schienen ihre Arbeit wieder aufgenommen zu haben, auf jeden Fall erinnerte ich mich plötzlich an weitere Bilder. Die Frau hatte meine Wunden gereinigt und desinfiziert, mir die Fesseln abgenommen und Tabletten verabreicht. Als ich sagte, ich hätte sie schon irgendwo gesehen, hatte sie mir ein Mobiltelefon gegeben.
»Wir melden uns«, hatte sie gesagt. »Schlafen Sie jetzt.«
Wir. Wer war »wir«? Wer war die Frau?
Auf dem Fußboden entdeckte ich ein Handy. Ein völlig harmlos wirkendes, aufgeklapptes Motorola-Mobiltelefon. Hatte ich ein James-Bond-Modell erwartet?
»Verdammt noch mal«, sagte ich in Richtung Telefon. »Wie soll ich denn an dich rankommen?«
Ich griff mit der linken Hand über die rechte Schulter, um zu prüfen, welchen Schaden Weller und Velarde angerichtet hatten. Die Muskelbewegung löste ein Kaleidoskop von Schmerzen aus, aber zumindest brach ich nicht zusammen.
Ich tastete nach meinem Hals, wo Velarde aktiv geworden war. Ein Stück Gaze war ungeschickt an Rücken und Hals befestigt. Im Geiste nahm ich eine Bestandsaufnahme
vor. Kein Blutverlust, keine Schäden an lebenswichtigen Organen. Jemand hatte meine Wunden desinfiziert. Außerdem waren Samanthas Nadeln vermutlich ohnehin steril gewesen. Die Verletzungen würden mich nicht umbringen. Ich hatte wahrscheinlich noch nicht einmal einen Schock erlitten und auch keine akute Todesangst gespürt. Dass ich in Ohnmacht gefallen war, hatte ausschließlich an den Schmerzen gelegen.
Vorsichtig beugte ich mich vor, hob das Handy auf und sah es mir genauer an. Ich hatte keine Ahnung, wonach ich suchte, und fand auch nichts.
Das Gerät war eingeschaltet. Dem Display zufolge war es 18.15 Uhr. War ich tatsächlich nur zwei Stunden außer Gefecht gewesen? Oder waren es sechsundzwanzig Stunden gewesen? Ich klappte das Telefon zu und wollte es in meine Hosentasche schieben. Erst da stellte ich fest, dass ich nur Boxershorts trug. Wo war meine Hose geblieben?
In der Ecke, wo ich sie für die Akupunkturbehandlung ausgezogen hatte. Zusammen mit meiner Brieftasche und meinem Handy.
Was war mit Samantha passiert? Was war mit Erin? Hatte Velarde nicht gesagt, ich sei sie los? Hatte man sie nur vorübergehend aus dem Verkehr gezogen, oder war es schlimmer?
Der Adrenalinstoß half mir zumindest soweit über die Schmerzen hinweg, dass ich Hemd und Hose anziehen
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