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Süden und das Geheimnis der Königin

Süden und das Geheimnis der Königin

Titel: Süden und das Geheimnis der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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das Gesicht, wodurch es nicht direkt freundlich wurde.
    »Dieser Franz«, sagte ich.
    »Hatte der eine Freundin oder Frau?«
    »Mahlzeit, die Herren!«, sagte Esterer.
    »Ich kann’s nicht sagen, kann sein. Kann sein. Ja, jetzt, wo Sie’s erwähnen, er hatte eine, die hieß wie… wie eine Königin… Kaiserin…« Er hob die Kaffeetasse an den Mund und stellte sie wieder hin.
    »Soraya. Ich glaub, die hieß Soraya. Aber vielleicht täusch ich mich auch.«
    Ich zog den kleinen karierten Spiralblock aus der Brusttasche meines Hemdes und notierte mir den Namen.
    »Die ist aber nicht zufällig immer noch Gast bei Ihnen?« Martin blies den Löffel mit den graubraunen Lungenfetzen an.
    »Schon lang nicht mehr«, sagte Esterer.
    »Der Franz auch nicht. Der war auf einmal weg. Weg war der. Wie der Wolfi. Als hätten die sich abgesprochen gehabt. Die Soraya…«
    »Sehen Sie sich dieses Foto an!«, sagte ich. Esterer beugte sich über das verwaschene, zerknitterte Bild.
    »Wer soll da drauf sein?«
    »Vielleicht Soraya«, sagte ich.
    Er hielt das Foto unter die Lampe, die über dem Tisch hing.
    »Kann ich nicht sagen, das Gesicht ist ja praktisch ausgewaschen. Nein. Unmöglich. Da mach ich keine Aussage.« Er legte das Papierquadrat auf den Tisch.
    »Der Franz, wie ist der gestorben? Wenn Sie sagen, der ist unbekannt. Hat der keinen Ausweis dabei gehabt oder so was?«
    »Nein«, sagte Martin. Von uns beiden war er der schnellere Esser. Wahrscheinlich war er der schnellste Esser im gesamten Dezernat 11. Sonja Feyerabend behauptete sogar, er wäre der schnellste Esser der gesamten Polizeidirektion Oberbayern, und dort gab es eine Menge Schnellesser, wie ich aus eigener Anschauung wusste.
    »Schmeckt gut, oder?«, sagte Esterer.
    »Sehr gutes Lüngerl«, sagte Martin. Die Bedienung brachte die Biere und nahm Martins leeren Teller mit.
    »Sind Sie auch schon fertig?«, fragte sie mich. Auf meinem Teller lagen ein halbes Restpflanzerl und ein Batzen Kartoffelsalat, das Besteck hatte ich noch in der Hand.
    »Überhaupt nicht«, sagte ich.
    Sie wandte sich geradezu von mir ab. Etwas an mir schien ihr deutlich zu missfallen.
    »Danke für die Hilfe«, sagte ich.
    »Kein Problem«, sagte Esterer.
    »Trinken S’ ein Schnapserl auf Kosten des Hauses? Oder ist das Bestechung?«
    »Das ist keine Bestechung«, sagte ich.
    »Auch wenn Sie unser Essen bezahlen würden, wär es keine Bestechung«, sagte Martin. Und weil Esterer keine Replik einfiel, ergänzte Martin: »Nur ein Scherz. Danke für die Auskünfte.«
    »Bittschön.« Esterer nahm meinen Teller, den ich leer gegessen hatte, mit.
    »Innereien zu Innereien«, sagte ich. Martin zündete sich eine Zigarette an.
    »Glaubst du, Fleischpflanzerl sind gesünder?«
    »Unbedingt«, sagte ich. Wir brauchten beide einen Schnaps.
    »Bittschön, die Herren, auf Ihr Spezielles!« Esterer hielt uns die Gläser hin.
    »Möge es nützen«, sagte Martin und kippte das Zeug runter. Wie ich.
    »Wenn S’ noch was brauchen, ich bin hinten am Stammtisch«, sagte Esterer. Wir blieben noch eine Viertelstunde. Draußen war es kalt.
    »Ich schau noch ein bisschen durch die Gegend«, sagte Martin.
    »Ja«, sagte ich. Seine Gegend hieß Lilo, sie war sechsundfünfzig und arbeitete als Hure, halblegal, in einer Wohnung, die sie mit drei anderen Frauen gemietet hatte. Martin hatte sich in sie verliebt, und sie ließ ihn bei sich übernachten. Ich hatte sie noch nicht kennen gelernt, er hatte mir nur von ihr erzählt.
    Ich ging zu Fuß nach Hause, über den Fluss, den Berg hinauf bis nach Giesing, wo ich in der Deisenhofener Straße wohnte. Übermorgen würden wir definitiv wissen, ob unser Franz eines natürlichen Todes gestorben war oder ob wir es mit einem Verbrechen zu tun hatten. In diesem Fall würden die Kollegen vom Mord die Ermittlungen übernehmen. Ansonsten würden wir weiter versuchen, die Identität des Mannes zu klären, und seine Leiche würde anonym bestattet werden. Reine Routine.

4
    S chon der erste Suchlauf des Vornamens in unserem Computersystem katapultierte die Ermittlungen auf eine neue, unerwartete Ebene. In unserem elektronischen Archiv existierte nur eine einzige Person mit dem Namen Soraya: Soraya Roos. Sie zählte zu der kleinen Gruppe von Langzeitvermissten, die seit vielen Jahren verschwunden waren, ohne dass wir auch nur die geringste Spur zu ihrem Aufenthaltsort gefunden hätten. In fünf Tagen, am fünften Mai, jährte sich die Vermissung von Soraya Roos zum zehnten Mal und

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