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Süden und das grüne Haar des Todes

Süden und das grüne Haar des Todes

Titel: Süden und das grüne Haar des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Halmar.«
    »Bitte?« Hastig trank sie das Glas leer und wog es in der Hand.
    Mir kam es plötzlich so vor, als führe die Tür, die sich durch den Fenstersprung von Lore Vogelsangs Tochter geöffnet hatte, nicht in einen dunklen Raum. Sondern in einen unterirdischen Keller. Und zwar nicht in dem Haus, in dem ich mich gerade befand .
    »Wann will Ihr Mann hier sein?«, sagte ich .
    Zuerst erwiderte sie nichts. Dann hob sie den Kopf in meine Richtung, mit einer schwerfälligen Bewegung .
    »Weiß ich nicht. Hab ich nur so gesagt. Ich hab ihn nicht erreicht. Er ist unterwegs. Unterwegs. So heißt das offiziell. Ich hab mit seiner Sekretärin gesprochen, sie sagt, Jonas ist im Rathaus, bei einer Delegation aus Ruanda . Stimmt vielleicht sogar.«
    »Was arbeitet Ihr Mann?«
    »Er ist Kurator bei der Hermann-Wieland-Stiftung. Die Stiftung leistet Hilfe für die Opfer von Bürgerkriegen, zivile Opfer, weltweit. Das ist eine sehr anerkannte Stiftung. Ich würd gern einen Veltliner trinken, stört Sie das?«
    »Nein«, sagte ich .
    »Möchten Sie auch einen?«
    »Nein.«
    »Sie dürfen nicht.«
    »Ich mag nicht.«
    Beim Vorbeigehen lächelte sie mich unbeholfen an .
    »Kann ich mal telefonieren?«, sagte ich und folgte ihr die Treppe hinunter .
    »Haben Sie kein Handy?«
    »Nein.«
    »Ich wusste nicht, dass die Mittel bei der Polizei so drastisch gestrichen worden sind«, sagte Lore Vogelsang .
    Eine halbe Stunde später rief Sonja, die ich zuvor am Handy erreicht hatte, zurück. »Das Beste ist«, sagte sie zu mir, »du bringst ihre Tochter gleich mit. Emmi Bregenz ist nur noch am Heulen.«
     
    In der Küche roch es immer noch nach gebratenen Zwiebeln, Knoblauch und Öl. Und Emmi Bregenz weinte in ein weißes Stofftaschentuch, das sie auf Nase und Mund presste. Seit zehn Minuten standen Lore Vogelsang und ich an der Tür und warteten, dass die alte Frau etwas sagte. Sie saß auf dem Stuhl, auf dem am Vormittag ihr Mann gesessen hatte, der, wie Sonja mir mitgeteilt hatte, im Wohnzimmer sei und sich weigerte zu sprechen. Sonja hatte nach meiner Ankunft wieder neben Emmi Platz genommen, mit verzurrter Miene. Für das verstockte Verhalten des Ehepaares brachte sie nur wenig Verständnis auf.
    Und Lore Vogelsang hätte vermutlich einen Weißwein dem Mineralwasser vorgezogen, das ihre Mutter ihr wortlos angeboten hatte, bevor sie ihr Gesicht wieder hinter dem Taschentuch verbarg und sich ihrem stummen Schluchzen hingab. Auch wenn Sonja vor Ungeduld mit den Fingern über das Rautenmuster des Tischtuchs kratzte und mir der Küchendunst und die abgestandene Wärme ein Brennen in den Augen und ein leichtes Brummen im Kopf verursachten, hatten wir keine andere Wahl, als den Kummer der alten Frau zu ertragen, ihn vielleicht zu lindern, indem wir sie nicht unterbrachen, und Anteilnahme und eine abstrakte Form von Verständnis zu vermitteln.
    Wieder einmal, wie so oft bei unserer Arbeit, zwangen wir einen Menschen, die versiegelte Abdeckung über einem Schacht zu entfernen, der zur Quelle seiner Verwundung führte. Mich als Kriminalisten, als Sachbearbeiter einer, statistisch betrachtet, gewöhnlichen Vermissung, gingen solche Geheimnisse nur so weit etwas an, als sie meine Arbeit voranbrachten und halfen, den Fall zu einem klaren Abschluss zu bringen .
    Aus welchen Gründen Emmi Bregenz ihre Tochter mit einer Lebenslüge hatte aufwachsen lassen, ging mich nichts an. Entscheidend war die Beantwortung der Frage, ob es sich bei der verschwundenen Babette Halmar um Emmis Schwester handelte, und wenn ja, wieso sie seit Kriegsende einen anderen Namen benutzte und an der Legende von ihrem Tod festhielt.
    Ob wir aber darüber von Emmi Bregenz mehr erfahren würden, bezweifelte ich, je länger ich in der Küche mit ansehen musste, wie sich ihre nach innen kippende Traurigkeit in stilles Selbstmitleid verwandelte. Mehr und mehr schätzte sie mit einem flinken Blick unsere jeweilige Reaktion ab und tupfte umso eindrucksvoller, wenn nicht sogar ein wenig theatralisch, ihre geröteten Wangen und Augen ab. Vielleicht brachte mich auch nur die stickige Luft auf solche Gedanken .
    Als mich ein weiterer Sekundenblick von Emmi traf, verließ ich die Küche, ohne mich um das Geschwader von stummen Verwünschungen zu kümmern, die Sonja mir hinterherschickte. Im Flur lehnte ich mich an die Wand, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen .
    Und wie ein Spuk tauchte das Gesicht eines Mannes in meiner Vorstellung auf, dessen Aussehen ich – Profi

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