Süden und das grüne Haar des Todes
Bild war in allen Münchner Zeitungen«, sagte Sonja. »Jemand hätte sie wiedererkannt.«
»Und wenn sie sich nicht in München getroffen haben?«, sagte Freya Epp.
»In Ismaning zum Beispiel«, sagte Weber .
Weil ich nicht zugeben wollte, dass ich diese nahe liegende Überlegung bisher nicht angestellt hatte, sagte ich: »In Ismaning werden dieselben Zeitungen ausgeliefert wie in München.«
»Das Foto der Frau ist in allen Lokalteilen erschienen, oder?«, sagte Thon. Er wartete nicht auf eine Bestätigung .
»Das ist ein Job für Sie, Freya.«
»Mach ich«, sagte sie.
»Fragen Sie in den Ismaninger Hotels jeden, den Sie antreffen, an der Rezeption, in den Zimmern, in der Gaststube, in der Küche, alle. Erwähnen Sie die Narbe und lassen Sie auch mal den anderen Namen fallen, den der Schwester von Amalie Bregenz …«
»Ruth Kron«, sagte Sonja.
Jemand klopfte, dann wurde die Tür einen Spalt breit geöffnet. Erika Haberl, Thons Assistentin, streckte den Kopf herein. »Ein Anruf wegen der vermissten Frau aus Ismaning, klingt wichtig.«
Ich stand auf und ging ins Vorzimmer .
»Einen frischen Kaffee, Herr Süden?«
»Ja«, sagte ich. »Hauptkommissar Tabor Süden«, sagte ich ins Telefon.
Eine junge Frau meldete sich. »Hallo? Wer ist da?«
Ich wiederholte meinen Namen. »Und wie heißen Sie?«
»Ist egal«, sagte die Stimme. »Ich wollt nur sagen, ich kenn die alte Schachtel, die heut in der Zeitung ist. Ich wollt nur sagen, Sie sollten mal in einer bestimmten Gegend nach ihr suchen.«
»Wo denn?«, sagte ich und trank einen Schluck des schwarzen, starken Kaffees.
»Im Westend. So, das wars, mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Danke«, sagte ich. »Aber ich möchte Sie trotzdem noch etwas fragen. Haben Sie mit ihr gesprochen? Hat sie Ihnen ihren Namen gesagt?«
»Wieso?« Ich hörte ein Klacken und dann einen Fluch .
»Mir ist die Tasche runtergefallen, das ganze Zeug liegt jetzt da rum, Scheiße! Ich muss los. Hätt ich bloß nicht angerufen!«
»Es ist sehr wichtig für uns. Wir haben nämlich den Verdacht, dass sie unter falschem Namen gelebt hat.«
»Wollen Sie mich verarschen?« Ich hörte das Ratschen eines Streichholzes. »Scheißwind. Ist die eine Spionin oder was?«
»Vielleicht«, sagte ich.
Auf meinem kleinen Block machte ich mir Notizen, obwohl das Gespräch aufgezeichnet wurde .
»Echt? Eine Spionin?«
»Hat sie Ihnen ihren Namen gesagt?«
Ich hörte, wie an einer Zigarette gezogen wurde. »Mehr weiß ich nicht.«
»Haben Sie den Namen Ruth Kron schon mal gehört?«
»Ruth Kron? Nie gehört«, sagte das Mädchen. Zu betont, wie mir schien.
»Wieso sagen Sie mir Ihren Namen nicht?«
»Weil der Sie nichts angeht! Das wars!«
»Ich möchte ihn aber gern wissen«, sagte ich .
»Hähä.«
»Haben Sie schon mal bei der Kripo angerufen?«
»Echt nicht.«
»Dann wissen Sie wahrscheinlich nicht, dass alle Gespräche gespeichert werden, auch unseres.«
»Das ist doch Mega-Mist!«, rief das Mädchen und kappte die Verbindung auf ihrem Handy .
Diesmal funktionierte mein Erinnerungsvermögen.
»Wieso wollen Sie meine Tochter sprechen?«
»Sie hat bei uns angerufen«, sagte ich.
»Bei der Polizei? Freiwillig? Das glaub ich nicht. Tanja! Tanja, komm mal runter! Wie war Ihr Name noch mal?«
5
O ffensichtlich war sie aus dem Fenster und auf ein schmales Blechdach mit einer Wasserrinne geklettert und von dort auf die Grünfläche hinter dem Haus gesprungen. Im nassen Gras entdeckte ich Fußspuren, die vermutlich von Stiefeln stammten. Ich schloss das Fenster und setzte mich auf das von CDs übersäte Bett, auf die Daunendecke mit den Schmetterlingsmotiven, und etwas darunter klirrte leise. Auch Tanjas Mutter hörte das Geräusch, aber sie zeigte ebenso wenig eine Reaktion wie ich.
Auf dem schmalen, hellen Gesicht von Lore Vogelsang wechselte der Ausdruck zwischen Beklemmung, Entschlossenheit und Verzagtheit. Einerseits schien sie mehrmals innerlich Anlauf zu nehmen, mir etwas zu erklären oder vielleicht etwas zu verbieten, das Zimmer ihrer Tochter zu betreten zum Beispiel, oder mich aufs Bett zu setzen oder unverdrossen nichts zu sagen. Andererseits grub sie die Hände immer tiefer in die Taschen ihrer Bluejeans und zog die Schultern hoch. Sie wich meinem Blick aus und starrte das Fenster an, als käme Tanja jeden Moment hereingeflogen, um sie von meiner Anwesenheit zu erlösen. Auch wenn Lore Vogelsang, wie mir schien, nichts mehr fürchtete als die Rückkehr ihrer
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