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Süden und das grüne Haar des Todes

Süden und das grüne Haar des Todes

Titel: Süden und das grüne Haar des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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mitgegessen. Wieso der dabei war, weiß ich nicht mehr, da müssen Sie meine Frau fragen. Die waren dick befreundet mit dem, meine Frau und die Ruth. Lebt der eigentlich noch?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Die Ruth wollt den heiraten, haben Sie das gewusst? Schon als Kind. Ist dann nichts draus geworden. Ist der Tod dazwischengekommen.«

6
    F ür Lore Vogelsang brach eine Welt zusammen, die für sie nie existiert hatte. Im Unterschied zu Sonja Feyerabend fiel es mir schwer, die Kaskaden von Vorwürfen nachzuvollziehen, mit denen die Klavierlehrerin ihre Mutter überschüttete. Nachdem sie es endlich geschafft hatte, mit ihrer Mutter und Sonja die stickige Küche zu verlassen und im Wohnzimmer erst einmal ein paar Minuten ruhig sitzen zu bleiben, begnügte sich die Tochter zwar zunächst mit zischenden Lauten, die sie zwischen den Schlucken aus einem Rotweinglas ausstieß. Doch kaum hatte sie ausgetrunken, sprang sie aus dem Sessel hoch und fuchtelte mit dem leeren Glas, unkontrolliert und unangemessen.
    Ich stand beim Fenster und sah und hörte ihr zu. Als die drei Frauen hereingekommen waren, hatte ich meinen Platz im Sessel für Sonja frei gemacht. Ihre Verärgerung darüber, dass ich die Küche wortlos verlassen hatte, schien etwas abgeklungen zu sein, zumindest strich sie mir mit der Hand flüchtig über den Arm. Doch ich bildete mir ein, diese Geste gehöre einer anderen, vor sechsunddreißig Stunden ins Beiläufige gerückten Nähe und sei wie die milde Gabe einer Vorübereilenden für einen Obdachlosen.
    »… Und du lässt mich mein Leben lang mit so einer Lüge allein!«
    Ihre Stimme schredderte unser Schweigen. Wutzernagt verzog Lore Vogelsang das Gesicht und trat mit ruderndem Arm vor ihre Mutter. »Warum hast du nie darüber geredet? Was ist damals passiert? Wieso kann man über so was nicht sprechen? Wieso muss man da die eigene Familie belügen? Und hättst du dann nicht deinen Mund halten sollen? Jetzt? Wieso hast du dann bei der Polizei angerufen? Was denkst du denn, was jetzt passiert? Das kommt doch alles in die Zeitung!«
    Was sie damit ausdrücken wollte, begriff ich nicht, und ich setzte schon an, etwas zu sagen, da wandte Sonja sich zu mir um und schüttelte stumm den Kopf .
    »Und jetzt sag ich dir was!« Drohend hob sie das leere Glas. Im Zustand der Erregung, in den sie sich hineingesteigert hatte, wäre ich nicht überrascht gewesen, wenn sie das Glas auf den Boden oder an die Wand geworfen hätte.
    Kopfschüttelnd senkte sie den Arm, bedachte ihre steif und eingeschüchtert dasitzende Mutter mit einem abfälligen Blick, drehte sich mit einem Ruck, der mir ebenso geziert vorkam wie manche Gesten ihrer Mutter, zum Bett um, auf dem die Weinflasche stand, und goss sich ihr Glas voll. Mit dem Rücken zu uns trank sie es in drei Schlucken leer, schnaufte hörbar und knallte das Glas auf die Holzplatte. Nach einer Weile, in der sie die Schultern hängen ließ – scheinbar resignierend und kraftlos wie im Zimmer ihrer Tochter –, fuhr sie herum, rannte auf ihre Mutter zu, blieb einen Schritt vor dem Sessel stehen, beugte sich vor und stützte die Arme auf die Lehnen, das Gesicht nah vor dem ihrer Mutter .
    »Du Lügnerin!«, schrie sie.
    Empört stand Sonja auf, um sie in die Schranken zu weisen. Aber ich griff nach Sonjas Arm und hielt sie zurück »Du hast mich mein ganzes Leben lang angelogen!«, rief Lore Vogelsang. »Erst mit Papa und jetzt mit deiner Schwester! Warum denn?« Sie packte die alte Frau, die wie unter Schock das Stofftaschentuch zwischen ihren Fäusten rieb, an den Schultern. »Warum bist du so ein Lügenbiest, Mama!«
    Als fühle der Regen sich verpflichtet, das Organ der Klavierlehrerin zu noch größerem Zorn anzutreiben, trommelte er in der folgenden Stille munter gegen die Scheiben, fester als vorher, fast aufdringlich. Und Lore Vogelsang sah tatsächlich zum Fenster, an Sonja und mir vorbei, mit einem unerwarteten Staunen im Blick und einem unmerklichen, halb spöttischen Zucken um den Mund.
    »Ach, ihr!«, sagte sie dann, ging zum Büfett und stellte das Glas ab und lehnte sich gegen die Schubladen mit den schmiedeeisernen Griffen. Sie blickte in die Runde, von einem zum anderen, während ihr Vater ungerührt an die Decke starrte, vergrub die Hände in den Hosentaschen und zuckte mit den Achseln. Noch einmal neigte sie den Kopf und horchte. Und es sah aus, als nötige ihr der sture Regen ein Lächeln ab, das sie flink mit der Zungenspitze von den Lippen fegte .
    »Darf ich

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