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Süden und das heimliche Leben

Süden und das heimliche Leben

Titel: Süden und das heimliche Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Ihrer Schwester machen«, sagte Süden.
    »Das Bild wird weiß bleiben, fürchte ich.«
    »Kein Bild eines Lebens ist weiß.«
    »Das meiner Schwester sieht leider ganz danach aus.«
    Bis zur Wohnung von Paula Senner in der Kreuzstraße waren es nur ein paar Meter. Süden wartete auf der Straße, während Paula den Schlüssel holte. Anschließend fuhren sie mit der 17 er-Tram bis zur Haltestelle Werinherstraße in Obergiesing. Gegenüber dem begrünten und von Bäumen und Sträuchern gesäumten Spielplatz sperrte Paula die Haustür auf, und sie gingen in den zweiten Stock.
    Was Süden auf seinem Rundgang durch die bescheidene Zweizimmerwohnung von Ilka Senner sofort auffiel, war das vollständige Fehlen von Büchern, Zeitschriften oder Zeitungen. An den Wänden hingen keine Bilder. Vor der Zentralheizung im Wohnzimmer stand ein leerer Bastkorb. Süden hob ihn hoch und schnupperte daran.
    Wenn er sich nicht täuschte, roch der Korb nach den Ausdünstungen einer Katze.

[home]
    6
    V on einem Haustier hatte ihm Hauptkommissarin Birgit Hesse nichts erzählt. Weder sie noch der Kollege, der sie in die Wohnung der vermissten Bedienung begleitete, hatten den geschwungenen hellbraunen Bastkorb auf dem Boden beachtet, vermutlich hielten sie ihn für einen Einkaufskorb. Aber wer, dachte Süden, stellte seinen Einkaufskorb im Wohnzimmer vor der Heizung ab? Andererseits deutete nichts auf ein Haustier, speziell auf eine Katze, hin. Kein Katzenklo im Bad, keine Sandvorräte und Futterdosen in der Küche, keine Fotos vom schnurrenden Liebling, kein Halsband, keine Katzenhaare auf der beigefarbenen Couch. Die Wohnung hatte keinen auffälligen Geruch, sie war sauber und aufgeräumt und der Kühlschrank bis auf zwei Mineralwasserflaschen, eine Weißweinflasche und ein verschlossenes Glas Aprikosenmarmelade leer.
    Ilka Senner hatte für Ordnung gesorgt, bevor sie verschwand.
    »Und?«, sagte ihre Schwester Paula. »Denken Sie das Gleiche wie ich?«
    Süden schwieg.
    »Ilka hat alles geplant.«
    Süden stand mit dem Rücken zur weit geöffneten Balkontür. Vom Spielplatz drangen Kinderstimmen herauf, Mütter riefen ihnen auf Türkisch Ermahnungen zu. Autos parkten ein und aus. Das Zwitschern der Vögel hörte keine Sekunde lang auf. Von der Werinherstraße drang das Klingeln der Straßenbahnen herüber. Jemand im Haus hämmerte, jemand anderes schien auf Rollschuhen unterwegs zu sein.
    Paula Senner lehnte im Türrahmen und wartete, dass der Detektiv etwas sagte. Sie wusste immer noch nicht, was sie von ihm halten sollte. Er stellte Fragen, sie gab Antworten, und diese verhallten in seinem Schweigen. Gleichzeitig schien er ununterbrochen nachzudenken und die Dinge um sich herum nur am Rande wahrzunehmen. Im Biergarten hatte sie zuerst geglaubt, er sei betrunken und deshalb wortkarg. Inzwischen überlegte sie, ob er nicht besser etwas trinken sollte, um gesprächiger zu werden.
    »Soll ich den Weißwein aufmachen?«, fragte sie.
    »Wenn Sie wollen.«
    »Trinken Sie ein Glas mit?«
    »Nein.«
    »Woran denken Sie?«
    »Würden Sie mir den Wohnungsschlüssel leihen?«
    Paula machte sich vom Türrahmen los. »Und wozu?«
    »Ich möchte die Nacht in der Wohnung bleiben, allein.«
    Sie gab wieder den undefinierbaren Laut von sich, den Süden schon vom Telefon kannte, sah über ihre Schulter in den Flur, wo der Schlüssel in der Wohnungstür steckte. »Ich habe gar kein Recht, ihn zu behalten. Ich habe sowieso völlig versagt. Ja, nehmen Sie den Schlüssel, bei Ihnen ist er besser aufgehoben als bei mir.«
    Süden sagte: »Das ist Unsinn. Aber wenn Sie nichts dagegen haben, behalte ich ihn ein paar Tage. Ich verspreche Ihnen, dass ich nur heute hier übernachten werde, auf dem Boden.«
    »Sie brauchen mir nichts zu versprechen.« Paula schaute sich verlegen um. »Auf dem Boden ist’s unbequem. Sie können die Couch ausziehen.« Weil er nicht reagierte, fügte sie mit leiserer Stimme hinzu: »Ich fange an, Angst zu haben. Die Wohnung macht mir Angst, die Stille. Obwohl draußen so viel los ist. Hier drin ist es ganz still. Als wäre seit Jahren niemand hier gewesen. Als wären die Möbel bloß tote Gegenstände. Wissen Sie, wie ich mir gerade vorkomme? Wie jemand, der eine Wohnung besichtigt, die er mieten möchte, eine möblierte Wohnung, und alles ist schon geregelt, der Vormieter ist ausgezogen, alles ist sauber, und man kann alles übernehmen, den Tisch, die Couch, den Schrank, sogar das Bett. Und das Wasser und den Wein im Kühlschrank

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