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Süden und das heimliche Leben

Süden und das heimliche Leben

Titel: Süden und das heimliche Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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einen Schluck Weißbier. »War doch gut, dass wir uns getroffen haben. Ich weiß deine Offenheit zu schätzen. Normalerweise machen wir ganz andere Erfahrungen mit Detektiven.«
    Süden trank sein Vollbier, warf der Kommissarin Blicke zu und verfiel dann in ein Schweigen, das Birgit Hesse nutzte, um auf die Toilette zu gehen.
    Immer mehr Gäste verließen die Gaststätte, Koreaner mit Schweinshaxen im Bauch, Japaner angefüllt mit Schnitzeln und Hendln oder Knödeln samt Schweinsbraten. Niemand torkelte, die meisten lachten beim Abschied. Wenn die Tür zur Schwemme aufging, schwappte eine Stimmenwelle herüber.
    »Trinken wir noch was?« Die Kommissarin setzte sich wieder und sah Süden an. Er sagte nicht nein, auch später nicht.
    Sie wohnte in der Georgenstraße. Schon wieder Schwabing, dachte Süden im Taxi. Danach ließ er das Denken eine Weile sein.
    Ihre Wohnung bestand aus drei Zimmern, in einem standen eine antiquarische Kommode und ein Klavier, im zweiten der Fernseher, die Couch und der Esstisch und im dritten das Bett. Ihre Kleidungsstücke lagen verstreut zwischen Wohn- und Schlafzimmer, und als Süden nackt auf den Rücken kippte, hatte er ein mulmiges Gefühl. Er verdrängte es, wie es sich gehörte. Sie küssten sich und bewiesen durchaus geschickte Handgriffe. Nach vierzehn Minuten musste Süden sich eingestehen, dass sein mulmiges Gefühl ihn nicht getäuscht hatte.
    Birgit kniete neben ihm. »Das wird schon wieder«, sagte sie.
    »Ich bin entsext«, sagte er.
    »Du bist entsetzt? Worüber denn?«
    »Entsext«, wiederholte er, als würde die Situation damit erträglicher.
    »Du bist entsext.« Sie betrachtete sein Geschlechtsteil und die umliegenden Ortschaften. »Wer hat dich entsext, Süden?«
    »Vermutlich das Vollbier«, sagte er verzagt.
    »Du meinst das Vollbier der vergangenen Jahre.«
    Sie brachte es wahrscheinlich auf den Punkt, was er niederschmetternd fand.
    »Das wird schon wieder«, sagte sie noch einmal und legte sich neben ihn und ihre Hand auf seinen Bauch.
    Als er gegen Morgen wach wurde, stellte er erleichtert fest, dass er nicht der Einzige war, der sich aufrichtete. In der Früh schaffte er es noch einmal, und unter der Dusche, wo die Kommissarin unangekündigt auftauchte, ein drittes Mal.

[home]
    12
    S ie bat den Taxifahrer zu warten und ging vom kiesbedeckten Parkplatz zur Wiese. Das Gras war nass vom Regen. Sie hatte Stiefel an und ihre alten soliden Jeans. Außerdem spielten Dinge wie das Wetter keine Rolle mehr. Nicht mehr viel spielte eine Rolle, dachte Ilka Senner. Jetzt hier zu sein war wichtig, und danach der Rückweg und der eine Schritt.
    In diesem Moment verspürte sie eine vage Furcht, und sie beeilte sich, das Grab zu erreichen und an etwas anderes zu denken.
    Das klappte nicht. Das Erste, woran sie denken musste, als sie still dastand und die frischen gelben Rosen, die sie bestellt hatte, die blauen Vergissmeinnicht und die lilafarbenen herzförmigen Steine betrachtete, war der Gesichtsausdruck des Mannes, in dessen Bauch sie das Messer gestochen hatte. Ein Starren war das, eine Mischung aus Verblüffung und komplettem Unverständnis.
    Er hätte sie nicht schlagen dürfen.
    Er hätte sie nicht anlügen dürfen.
    Er hätte sie nicht missachten dürfen.
    Aber nicht deswegen hatte sie das Messer genommen und zugestochen, dachte sie. Denn das würde bedeuten, dass über die Jahrzehnte ein Plan in ihr existiert hätte, der ihr nicht bewusst gewesen war. Das konnte nicht sein. Sie war sich nicht mehr sicher. Dass der Mann sie vom Stuhl gestoßen und dann verprügelt hatte, war unverzeihlich, und er hatte eine Strafe verdient. Bestraft, dachte sie beim Anblick des Farbfotos auf dem ovalen Grabstein, hatte sie in ihrem ganzen Leben noch keinen einzigen Menschen. Sie war immer gut zu allen gewesen, nachgiebig, rücksichtsvoll, geschmeidig, unaufdringlich. Noch nie hatte sie jemanden angeschrien oder auch nur aus Verzweiflung gegen die Wand gebrüllt, wenn sie allein war und niemand sie hören konnte. Sie war eine durch und durch lautlose Person.
    Auch in der Küche hatte sie keinen besonderen Laut von sich gegeben.
    Sie hatte dem Mann eine Frage gestellt und wenig später hatte sie ihm lautlos das Messer in den Bauch gerammt.
    Noch nie hatte sie gegen jemanden eine Waffe erhoben, auf die Idee kam sie einfach nicht. Warum nicht?, dachte sie und nahm zwei Frauen wahr, die in der Entfernung über die Wiese gingen, die eine mit einem zusammengeklappten roten, die andere mit

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