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Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Hotel, sie ist den ganzen Tag beschäftigt, auch am Wochenende. Timo ist viel allein.«
    »Er ist verschwunden«, sagte ich.
    »Ah so«, sagte Giggenbach. Er knetete die Hände, dachte nach und sagte: »Wahrscheinlich ist er bei seiner Tante, wie immer.«
    »Bei Carola Schild?«, sagte ich.
    »Ihr Name fällt mir jetzt nicht ein.«
    »Carola Schild«, wiederholte ich.
    »Möglich«, sagte er, als dürfe ich auf keinen Fall Recht behalten.
    Ein Mann in einem grünen Lodenmantel verließ gemeinsam mit Frau Schenk das Schulgebäude und kam auf uns zu.
    »Grafrath«, sagte der Mann. »Ich bin der Direktor der Schule. Sie sind von der Polizei?«
    »Tabor Süden, Dezernat 11, Vermisstenstelle«, sagte ich und ließ mir die Hand schütteln.
    »Sie haben eine Schulphobie, ich weiß schon«, sagte Grafrath frohgemut. »Frau Schenk hat sie sofort durchschaut. Was kann ich für Sie tun, Herr Süden?«
    »Einer Ihrer Schüler ist verschwunden«, sagte ich.
    »Timo Berghoff.«
    »Seine Mutter hat ihn heut Morgen krank gemeldet«, sagte Frau Schenk, an ihren Direktor gewandt.
    »Ist das sicher?«, sagte ich.
    »Selbstverständlich!«, sagte Frau Schenk mit Nachdruck.
    »Frau Amann, meine Assistentin, hat mit Frau Berghoff gesprochen«, sagte Grafrath. »Angeblich hat Timo Grippe und kommt auch die nächsten Tage nicht, ein Attest wird nachgereicht.«
    »Frau Berghoff hat ihren Sohn als vermisst gemeldet«, sagte ich.
    Eine Glocke ertönte, und die Kinder verließen nach und nach den Hof.
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Ist eines der Mädchen Sara Tiller?«
    »Die mit den pinkfarbenen Ohrschützern«, sagte Giggenbach.
    Das Mädchen ging Arm in Arm mit einer Freundin auf die Glastür zu und summte vor sich hin.
    »Unter den Ohrschützern hat sie einen Walkman«, sagte Frau Schenk. »Sie glaubt, wir merken es nicht. In der Pause kann sie von mir aus Musik hören, sonst nicht.«
    »Warum fragen Sie nach dem Mädchen?«, sagte Grafrath.
    »Sie hat mit Timo gestritten«, sagte ich.
    »Davon weiß ich nichts«, sagte Frau Schenk. »Du?«
    »Nein«, sagte Giggenbach.
    »Wo könnte Timo denn sein?«, fragte Grafrath. »Müssen wir mit etwas Schlimmem rechnen?«
    »Reden Sie mit der Tante!«, sagte Giggenbach noch einmal.
    Über Nacht war der Schnee gefroren, und nun schneite es wieder, nicht so heftig wie am Vortag, aber stark genug, um die Kinder, die aus der Schule kamen, übermütig springen und rennen zu lassen. Einige rutschten aus und fielen hin, hatten aber keine Zeit für den Schmerz, sondem fegten noch im Aufstehen mit der flachen Hand frischen Schnee in die Gesichter ihrer Freunde, einige, die Älteren unter ihnen, zogen die Köpfe ein wie Erwachsene und klopften ihre Stiefel ab, als würden sie beim nächsten Schritt ein Haus betreten. Frau Schenk stand an der Einfahrt zum Hof, mit einem aufgespannten gemusterten Schirm, den sie hob und senkte, wenn sie den einen oder anderen Schüler persönlich verabschiedete, ohne dass dieser darauf zu achten schien.
    Ich beobachtete die Szenerie vom Auto aus. Ausnahmsweise hatte ich mir einen Dienstwagen geliehen, einen anthrazitfarbenen Opel, und war allein nach Unterhaching gefahren, während Martin die Vermisstenanzeige fürs Landeskriminalamt bearbeitete. Angesichts der spärlichen Angaben über Zeitpunkt und Ort von Timos Verschwinden, über die Ursachen und seine Ziele konnten wir keine schnellen Ergebnisse erwarten. Das LKA würde die Aussendung der Fernschreiben vorerst auf den Raum München und das Umland beschränken, zumal wir mit unseren Ermittlungen in der Familie und dem Bekanntenkreis noch nicht einmal richtig begonnen hatten.
    Bis zu meiner Abfahrt vom Dezernat war es Martin nicht gelungen, Timos Vater ans Telefon zu bekommen, das Handy war ausgeschaltet, die Mailbox nahm keine Nachrichten entgegen, und in der Pension, in der Hajo Berghoff sich eingemietet hatte, hieß es, er sei bereits um sechs Uhr morgens aus dem Haus gegangen. Bevor wir bei VW anriefen und Leute aufscheuchten, wollten wir warten, bis wir alle Informationen in München ausgeschöpft und vielleicht Susanne Berghoff endlich dazu gebracht hatten, die Wahrheit zu sagen.
    Wieso hatte sie ihren Sohn in der Schule krankgemeldet? Allerdings: Was hätte sie sonst tun sollen? Auf diese Weise würde niemand Fragen stellen. Dachte sie. Womit sie nicht gerechnet hatte, war, dass ich oder einer meiner Kollegen in der Schule auftauchen würde. Spätestens morgen früh wusste jeder dort, was geschehen war, und dann

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