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Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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mich nicht von der Stelle. Die Arme verschränkt, den Kragen meiner Lederjacke hochgeschlagen, die Haare zerzaust im leichten Wind, stand ich fast genau in der Mitte des Schulhofs und beobachtete die herumtollenden Kinder. Manche streckten die Zunge raus, andere rannten um mich herum wie um einen Baum und schlugen gelegentlich mit der flachen Hand nach mir. In meiner schwarzen, an den Seiten geschnürten Hose aus Ziegenleder, mit den Bartstoppeln im Gesicht und den etwas zu langen strähnigen Haaren musste ich zumindest auf die Erwachsenen, die mich von den Fenstern aus musterten, wie ein Mann wirken, der nicht hierher gehörte und so rasch wie möglich zu verschwinden hatte.
    »Was machen Sie hier?«, fragte die Frau, die mir den Fluchtweg zur Straße versperrte. Ich sagte: »Ich schaue mich um.«
    Sie starrte mich an.
    Ich bewegte mich nicht.
    »Würden Sie bitte den Schulhof verlassen«, sagte die Frau.
    Der Mann, ihr Kollege, knetete seine Hände, und ich hörte das Geräusch der Handschuhe.
    »Nein«, sagte ich.
    »Dann werden wir jetzt die Polizei holen«, sagte die Frau.
    Ich griff in die Tasche meiner Jacke und holte den blauen Dienstausweis hervor. Die Frau nahm ihn in die Hand, betrachtete ihn eindringlich und reichte ihn an den Mann weiter, der dasselbe tat. Als er ihn mir zurückgab, sagte er: »Ah so.«
    Ich steckte den Ausweis ein.
    »Wo ist Timo Berghoff?«, fragte ich die Frau. Möglicherweise reichte ihre Autorität bei Kindern aus, in meiner Gegenwart wirkte sie im Moment reichlich unbeholfen.
    »Er ist heute nicht gekommen«, sagte sie.
    »Ist er krank?«
    »Da müsst ich nachschauen.«
    »Tun Sie das«, sagte ich. »Ich warte derweil hier.« Sie sah mich an, als wäre ich ungezogen.
    Ich schwieg. Sie wartete auf ein Wort ihres Kollegen, der kurz die Arme ausbreitete, dann aber wieder die Hände faltete und hin und her bewegte, als wäre ihm kalt.
    »Wissen Sie, warum Timo Berghoff heute nicht in der Schule ist?«, fragte ich.
    »Nicht direkt«, sagte er.
    »Kommen Sie doch mit ins Lehrerzimmer«, sagte die Frau. »Dann können Sie auch gleich mit unserem Direktor sprechen.«
    »Warum?«, fragte ich.
    »Bitte?«, sagte die Frau.
    »Warum soll ich mit Ihrem Direktor sprechen?«
    »Sie als Polizist…«, begann sie.
    Ein etwa siebenjähriges Mädchen griff nach ihrer Hand.
    »Frau Schenk, schauen wir heut wieder einen Film an, jetzt gleich?«
    »Nein«, sagte Frau Schenk. »Zieh dir die Kapuze über den Kopf, wofür hast du sie denn? Schnell!«
    Sofort folgte das Mädchen.
    Ich verschränkte die Arme und blickte zum zweiten Stock des Gebäudes hinauf, wo zwei Lehrerinnen an einem offenen Fenster standen.
    »Wollen wir nicht reingehen?«, fragte der Mann neben mir.
    »Ich warte hier«, sagte ich.
    Wortlos ging Frau Schenk an mir vorbei, was ihren Kollegen veranlasste zu lächeln.
    »Ich heiße übrigens Giggenbach«, sagte er.
    »Grüß Gott«, sagte ich.
    »Grüß Gott.«
    Auf mich machte er den Eindruck eines Mannes, der nie einen anderen Beruf als den des Lehrers ausüben wollte, bestimmt besaß er ebenso starkes Durchsetzungsvermögen gegenüber renitenten Schülern wie er Nachsicht übte, wenn sie ihn neckten oder hinter vorgehaltener Hand über seine Glatze und seinen silbernen Knopf im Ohr tuschelten. Ich schätzte ihn auf ungefähr fünfzig, auch wenn er älter wirkte, er war weder schlank noch dick, er trug einen dunklen Wollmantel und hob ab und zu mahnend den Zeigefinger, wenn in seiner Nähe zwei Kinder garstig miteinander umgingen. Ich war überzeugt, er unternahm jedes Jahr mehrere Bildungsreisen und zählte zu den letzten Abonnenten namhafter Wochenzeitungen, er arbeitete diszipliniert und gewissenhaft, ohne je die Chance zu bekommen, Direktor zu werden, was er auch nicht anstrebte.
    »Was wollen Sie eigentlich von Timo?«, fragte er. »Hat er wieder was angestellt?«
    »Was zum Beispiel?«, fragte ich.
    »Er kann sehr aufmüpfig sein«, sagte Giggenbach. »Vor allem gegenüber seiner Mutter.«
    »Kennen Sie seinen Vater?«
    »Kaum.«
    »Warum nicht?«
    »Er ist selten da, er hat, glaub ich, einen neuen Job, irgendwo in Hamburg. Timos Mutter hat davon erzählt, ich hab es aber vergessen.«
    »Er bewirbt sich«, sagte ich. »Er macht Aufnahmetests. Er ist immer noch arbeitslos.«
    »So was gibt niemand gern zu«, sagte Giggenbach.
    »Ist Timo ein guter Schüler?«
    »Er ist gescheit, er hat was drauf. Aber oft hat er keine Lust, und seine Mutter hat wenig Einfluss auf ihn, sie führt ihr

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