Süden und das Lächeln des Windes
ungeduldig, fast nie, jetzt schon.
»Frau Schild«, sagte ich, »wir sitzen hier nicht zum Vergnügen, meine Kollegin und ich ermitteln in einem Vermisstenfall. Wann ist Timo noch einmal zurückgekommen und wo ist er jetzt?«
Sie wollte trinken, aber ich griff nach ihrem Handgelenk.
»Wo ist er jetzt?«
Sie zog ihre Hand weg. »Weiß ich nicht. Sara hat angerufen, sie wollt ihn sprechen, und danach ist er so schnell weg, dass ich ihn nicht aufhalten konnt. Ich weiß nicht, wo er ist, ich schwörs Ihnen.«
»Wann hat Sara angerufen?«, fragte ich. Meine Kollegin notierte jedes Wort.
»Vor zwei Stunden ungefähr. Ungefähr.«
»Ich hab den Jungen nicht rauskommen sehen«, sagte Freya.
»Er ist vor dir weg«, sagte ich. »Haben Sie mit Sara gesprochen, Frau Schild? Hat sie was gesagt, wo sie hin wollte?«
»Ich hab nur Hallo gesagt, ich könnt doch nicht ahnen… Timo hat gleich aufgelegt… Ich weiß nicht, wo sie hin sind, ich weiß es nicht.«
Nun hatten wir zwei vermisste Kinder. Und ich rechnete nicht damit, dass sie bis zum Abend wieder bei ihren Eltern sein würden.
»Ich hätt Sie nicht anlügen dürfen«, sagte Carola Schild. Ich schwieg.
»Bitte denken Sie nach!«, sagte Freya. »Hat Timo nicht doch irgendetwas erwähnt, einen bestimmten Ort, einen anderen Freund, irgendetwas…«
Draußen wurde es dunkel, und es fing wieder an zu schneien.
Von der Taverne aus rief ich bei Bettina Tiller an, natürlich hatte sie nichts von ihrer Tochter gehört. Zwischen Sara und Timo musste eine enge Beziehung bestehen, anders war nicht zu erklären, dass sie ihn zu etwas aufforderte, was er sofort tat. Sie wusste, er wurde von der Polizei gesucht, und wollte ihn warnen. Kannte sie ein Versteck, wo sie unbemerkt bleiben konnten? Was war es, das die beiden aneinander schweißte? Was war es, das uns sowohl Timos Mutter als auch Saras Mutter verheimlichten? Oder wussten sie es auch nicht? Und was sagten die Väter? Bisher hatten wir nur mit den Müttern gesprochen.
Ich hoffte, Martin hatte Hajo Berghoff in Wolfsburg erreicht, und nahm mir vor, so schnell wie möglich mit Frank Tiller zu sprechen.
»Hoffentlich stößt den beiden nichts zu«, sagte Carola Schild.
Noch in derselben Nacht begann unsere Fahndung, die ich bald als so vergeblich empfand, als suchte ich nach einer Träne im Schnee.
8
N ichts geschah, und die Journalisten nutzten dieses Nichts für eine ekstatische Berichterstattung.
Zwei verschwundene Kinder zur selben Zeit, die noch dazu befreundet waren – so einen Fall hatte es in der Stadt noch nicht gegeben. Die Fotos von Sara und Timo erschienen in sämtlichen Tageszeitungen. Bereits am ersten Tag der Berichterstattung, die zunächst im Fernsehen und Radio anlief, bevor die Abendausgaben der Zeitungen folgten, riefen hundertdreiundzwanzig Personen im Dezernat 11 an, um uns mitzuteilen, sie hätten die Kinder gesehen. Bis spät in die Nacht überprüften wir jeden einzelnen Hinweis, fuhren zu den abgelegensten Gegenden, nahmen sogar vorübergehend zwei Männer fest, die von Nachbarn beschuldigt worden waren, die Kinder in ihrem Auto – »Ein blauer Opel mit Heckspoilern, ganz sicher!« – mitgenommen zu haben, was sich als Irrtum herausstellte. Wir führten ungefähr zweihundert Telefongespräche, nur um hinterher eine weitere Spur abzuhaken.
Nichts geschah. Wir irrten durch eine Nebelbank. Wir, das waren mittlerweile fünfunddreißig Kriminalisten der »Soko Sara«, die der Leiter des Dezernats, Karl Funkel, im Lauf des Donnerstagnachmittags zusammengestellt hatte. Nicht nur Kollegen aus der Vermisstenstelle arbeiteten darin mit, auch Kollegen aus anderen Abteilungen. Sogar Sonja Feyerabend kam trotz ihrer schweren Erkältung ins Büro an der Bayerstraße, da sie eine der erfahrensten Fahnderinnen und gerade bei Kindsvermissungen für die Angehörigen eine wichtige Ansprechpartnerin war.
Aber nichts geschah. So detailliert wie möglich hatten Martin Heuer und ich die Vermisstenmeldung ans LKA geschickt, wir erwähnten das Telefonat zwischen den Kindern und Saras Ohrfeige, wir beschrieben die üblichen Wegstrecken, die sie gingen oder mit der S-Bahn fuhren, baten um dringende Benachrichtigung der Kollegen in Norddeutschland, da wir nicht ausschließen wollten, dass die Kinder, aus welchen Gründen auch immer und obwohl wir keine konkreten Hinweise darauf hatten, Timos Vater besuchten. Und Hauptkommissar Korn vom LKA, der die Dringlichkeit des Falles jetzt einsah, formulierte Fernschreiben
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