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Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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an sämtliche Dienststellen, die in Frage kamen, gab unsere Daten ins IN-POL-System ein, von wo diese über Nacht in die VERMI/UTOT-Datei des Bundeskriminalamtes überspielt wurden, alles Routine.
    »Setzen Sie Hubschrauber ein?«, fragte ein Reporter in der Pressekonferenz am Donnerstag.
    »Selbstverständlich«, sagte Karl Funkel.
    »Warum ist der Vater des verschwundenen Jungen nicht da?«, fragte eine Reporterin.
    »Er ist auf dem Weg«, sagte Funkel.
    »Halten Sie sich bei den Familien zurück«, sagte Thon tonlos. Sein Verhältnis zur Presse war gespannt, und mehr als einmal war es passiert, dass er Journalisten angeblafft und sogar angeschrien hatte. In seinen Augen versauten diese Leute die Arbeit der Polizei, auch wenn man sie als Helfer bei einer Fahndung benötigte, was öfter vorkam, als ihm recht war.
    Funkel hatte gelogen. Hajo Berghoff war nicht auf dem Weg zu seiner Frau, er behauptete, er dürfe unter keinen Umständen die Aufnahmeprüfungen schwänzen, sonst sei er unwiderruflich aus dem Rennen, und das könne er nicht riskieren.
    Nach mehreren vergeblichen Versuchen war es Martin gelungen, Berghoff ans Telefon zu bekommen.
    »Der Junge ist bei seiner Tante«, sagte er. Auf Martin machte er einen abwesenden, erschöpften Eindruck.
    »Sie müssen nach München kommen«, sagte Martin.
    »Das kann ich nicht, ich kann das nicht!«, sagte er. Wie seine Frau wiederholte er manchmal die Worte in einem Satz.
    »Ihr Sohn ist spurlos verschwunden!«
    »Ich brauch diesen Job, ich brauch diese Arbeit, ich muss das schaffen und das schaff ich auch!« Seine Frau hatte fast die gleichen Worte benutzt.
    »Dann muss ich einen Kollegen zu Ihnen schicken«, sagte Martin. »Sie müssen eine Aussage machen.«
    »Was soll ich denn aussagen?«, sagte er und ließ offenbar das Handy fallen, weil man hörte, wie es auf einen Steinboden knallte.
    Martin zuckte zusammen.
    »Entschuldigung… was soll ich denn aussagen? Ich bin doch seit einer Woche weg, ich hab Timo doch nicht gesehen, ich weiß gar nicht…«
    »Haben Sie keine Angst, dass Ihrem Sohn was zugestoßen sein könnte?«
    »Ja, aber… ja, aber das Mädchen ist doch bei ihm, das Mädchen, Sie haben doch gesagt, die… die…«
    »Die Sara«, sagte Martin.
    »Ja, die Sara, Sie haben doch gesagt, die ist mit ihm weg, die ist weg mit ihm gleichzeitig…«
    »Herr Berghoff?«
    »Ja? Ja?«
    »Wo sind Sie jetzt?«
    »Ich?«, sagte er. »Ich bin bei… ich bin bei… ich arbeite noch…«
    »Bei VW?«
    »Nein, bei… Ich bin hier, ich muss morgen um halb sechs raus, wir haben noch was durchzugehen, und…«
    »Wer ist ›wir‹?«, sagte Martin.
    »Das ist die Frau Silb… die Frau Sibelius, sie ist auch eines der Talente wie die anderen…«
    »Was für ein Talent?«, fragte Martin.
    »Was?« Berghoff machte eine Pause. Er sprach mit Frau Sibelius. Martin trank einen Schluck kalten Kaffee. Ich saß ihm am Schreibtisch gegenüber und hörte mit.
    »Was für ein Talent, Herr Berghoff?«
    »Talent? Talente heißen die Bewerber, wir werden Bewerb… wir werden Talente genannt von den Assessoren, also den… den Ausbildern, den…«
    »Es wäre besser, Sie kämen nach München«, sagte Martin. »Und zwar schnell.«
    »Dem Timo passiert nichts«, sagte Berghoff.
    Am Ende des Gesprächs, das fast eine halbe Stunde dauerte, bettelte er geradezu darum, nicht nach München zurück reisen zu müssen.
    »Ich brauch diesen Job«, wiederholte er zum siebten Mal.
    »Ich brauch diesen Job, den brauch ich, ich bitte Sie!«
    Hätten wir solche Aussagen auch nur annähernd wahrheitsgemäß den Journalisten mitteilen sollen?
    »Stimmt es, dass der Junge schon ein paarmal von zu Hause ausgerissen ist?«, fragte ein Reporter.
    »Nein«, sagte Thon.
    »So kann man das nicht formulieren«, sagte Funkel gleichzeitig.
    Zwei junge Frauen, die in der Nähe der Tür standen und mitschrieben, drehten sich zu mir um, ihre Mienen von Schadenfreude beseelt. Martin schaute demonstrativ zum Fenster.
    »Bitte?«, fragte der Reporter, der die Frage gestellt hatte.
    »Er hat sich bei seiner Tante versteckt«, sagte Thon und nestelte an seinem Seidenhalstuch.
    »Wann war das?«
    »Vor einem Jahr«, sagte Thon. Er wusste es nicht genau, was er nie zugegeben hätte – wie keiner von uns in dieser Runde.
    »Haben seine Eltern damals die Polizei eingeschaltet?«, fragte der Reporter. Blitzlichter erhellten die Gesichter von Funkel, Thon und Paul Weber, der als ältester Kommissar des Dezernats regelmäßig an

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