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Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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sammelst Feuerwehrautos? So kleine rote? Ich auch!«
    Martin hatte sein Hemd ausgezogen und sich auf der Toilette das Gesicht gewaschen, ohne es abzutrocknen. In seinem grauen engen T-Shirt wirkte sein Körper klapprig und seine Hautfarbe aschfahl.
    »Alles okay?«, sagte ich.
    Er setzte sich zu uns an den Tisch, kippte seinen Rotwein hinunter und schenkte sich das Glas erneut voll. Dann zündete er sich eine Salem-ohne an und hielt Sonja die Packung hin.
    »Danke«, sagte sie. »Ich rauch nicht.«
    »Neulich hab ich dich rauchen sehen.«
    »Das war eine Ausnahme.«
    »Verstehe.«
    Ein Freund des türkischen Wirts, der ein Lokal in der nahen Goethestraße betrieb, war für die Musik zuständig. Er hatte eine kleine Stereoanlage und Boxen mitgebracht und legte nun aktuelle Popmusik auf. Zu späterer Stunde wurde gewöhnlich getanzt, auch wenn die Frauen deutlich die Minderheit bildeten.
    »Nicht schlecht«, sagte ich zu Martin. Seit seinem Auftritt hatten wir noch nicht miteinander gesprochen.
    »Nächstes Jahr nehm ich an der Weltmeisterschaft teil«, sagte er. »Und deswegen muss ich im deutschen Wettbewerb unter die ersten drei kommen. Drei dürfen mitfahren.« Er trank und rauchte, und ich wünschte, er würde weniger trinken und weniger rauchen.
    »Finden Sie das nicht albern?«, sagte Sonja. Sie trug einen dunklen Hosenanzug, der teuer aussah, und hatte ihre Lippen rot geschminkt, was sie selten tat. Sie war von einer aparten Schönheit.
    »Jetzt pass auf«, sagte Martin. »Ich mag das nicht, das Gesieze, ich duz dich und ich biete dir hiermit das Du an, ich bin der Ältere.«
    Er hielt ihr tatsächlich die Hand hin. Sonja zögerte einen Moment, dann nahm sie sie. Und ich bemerkte, wie sie für eine schnelle Sekunde zusammenzuckte, und ich wusste, warum. Vermutlich war seine Hand schneekalt.
    »Also gut, Martin«, sagte Sonja.
    Er gab ihr einen Handkuss und statt zu lächeln trank er sein Glas leer und sah zu den anderen Tischen, bis er eine volle Flasche entdeckte. Er ging hin.
    »Und Sie?«, sagte Sonja. »Wollen Sie auch geduzt werden?«
    »Unbedingt«, sagte ich. Wir hoben unsere Gläser und stießen an.
    »Möge es nützen!«, sagte Martin, der zum Tisch zurückkam, in der Hand eine Flasche Rotwein und eine Schale mit Pistazien, die er Sonja hinhielt. Sie lehnte ab.
    »Seit wann machst du das?«, fragte Sonja. Martin schenkte Wein in die drei Gläser und knackte Pistazien.
    »Seit ich dreizehn oder vierzehn war.«
    »Aber jetzt bist du dreiundvierzig.«
    »Egal«, sagte er. »Manche Dinge bleiben dir, Dinge, mit denen du spielst, und Dinge, die dir nicht gut tun, du hast sie von Anfang an und wirst sie nie los. Möge es nützen!«
    Er trank und steckte sich eine Zigarette an.
    Sonja, die zum ersten Mal als Kriminalistin der Vermisstenstelle an der Weihnachtsfeier teilnahm, winkte zwei Kollegen von der Mordkommission zu, mit denen sie viele Jahre gearbeitet hatte und die als eingeschworenes Zweierteam im gesamten Dezernat bekannt waren: Josef Braga und Sven Gerke, zwei fast zwei Meter große Männer Anfang dreißig, von denen der eine, Gerke, einen raffinierten, an den Enden nach oben gezwirbelten Schnurrbart trug, ein gepflegtes Kunstwerk aus Haaren, mit dem er bereits an einigen Wettbewerben teilgenommen hatte. Sein Kollege hatte die Angewohnheit, seltsam zu grinsen, ohne dass er sich selbst, wie er versicherte, diese Mimik, die sein ovales Gesicht verzerrte, erklären konnte. Kurioserweise spielten sie beide in verschiedenen Basketballteams und gingen sich auch sonst außerhalb des Büros aus dem Weg, während sie vor allem in Sonderkommissionen, in die sie regelmäßig berufen wurden, unzertrennlich und sehr effektiv waren.
    »Servus!«, rief Braga über zwei Tische hinweg.
    »Servus!«, rief Gerke und sein Schnurrbart, unter dem der Mund kaum zu sehen war, bebte.
    »Servus!«, rief Martin. Ich rief: »Servus!« Sonja rief nichts.
    Dann verfielen wir in duzvolles Schweigen.
    Als wir miteinander tanzten, schwiegen Sonja und ich in das Schlurfen unserer Schritte hinein und in die Gesichter um uns herum, in die verdeckten Blicke der Ermittler unserer Nähe.
    »Beginnt da was zwischen ihr und dir?«, hatte mich Paul Weber gefragt, und ich hatte gesagt: »Vielleicht.«
    Ich war kein Künstler als Tänzer, ich machte Schritte, hielt Sonjas Hand und umfasste ihren Rücken, berührte den weichen Stoff der Bluse und stieß mit meinem Bauch, den es sichtlich gab, gegen ihren, den es unsichtlich gab, und sie

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