Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süden und der Luftgitarrist

Süden und der Luftgitarrist

Titel: Süden und der Luftgitarrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
bei ihr gewohnt hat, hat sie ihn nicht als vermisst gemeldet.«
    »Er war öfter längere Zeit verschwunden«, sagte ich. Nachdem er die Zigarette geraucht hatte, sagte Martin:
    »Ich kann allein weitermachen. Fahr nach Hause zu Sonja!«
    Ich schwieg, stieg in den Dienstwagen und stieß die Beifahrertür auf.
    Auf der Fahrt in die Karlstraße, in der sich Gretls Bierstube befand, schwiegen wir, aber es war kein gewöhnliches Schweigen aus Erschöpfung oder Lustlosigkeit, es war ein Duell mit ungesagten Worten. Ich wollte ihm sagen, er solle seine Anspielungen unterlassen und seine verdrehte Form von Eifersucht abschalten, und er, da war ich mir sicher, wollte mir vorhalten, ich würde bei einer Fahndung, die unsere ganze Wachsamkeit und Konzentration erforderte, private Interessen verfolgen. Letztendlich wollte er mir vorwerfen, ich sei, anstatt mit ihm zum Essen zu gehen, mit Sonja ins Bett gegangen, was ein deutliches Zeichen dafür wäre, wie gering ich diesen Fall einschätzte, in dessen Zentrum ein Mann stand, der seinen Beruf vernachlässigte, um Luftgitarre zu spielen. Und was Sonja vom Luftgitarrespielen hielt, wusste er, und garantiert hätte ich mich ihrer Einschätzung mittlerweile angeschlossen. Er wollte mir verbieten, ihn heimlich lächerlich zu finden. Und ich wollte ihm sagen, er solle sich gefälligst nicht selbst lächerlich machen.
    Am Stiglmaierplatz überholte uns eine Straßenbahn, und ich bildete mir ein, die Fahrerin wäre Ute gewesen, eine ehemalige Freundin, die sich von mir an einer Haltestelle getrennt hatte.
    Von der Seidlstraße bog ich links in die Karlstraße ein und parkte den Opel vor der nächsten Kreuzung. Ich zog den Zündschlüssel ab, und wir saßen im Dunkeln. Beide verschränkten wir die Arme und starrten vor uns hin. Martins Daunenjacke raschelte. Die Ampel sprang auf Rot. Ein junges Pärchen überquerte Arm in Arm die Straße. Die Ampel sprang auf Grün. Autos preschten an uns vorbei. Allmählich roch es in unserem Wagen wie in Nikis Kneipe. Martin zog den Kopf zwischen die Schultern. Die Scheiben beschlugen. Die Uhr am Armaturenbrett zeigte eine halbe Stunde vor Mitternacht. Die Ampel sprang auf Rot. Ich stieg aus.
    Wir versuchten, den riesigen Pfützen aus geschmolzenem Schnee und Eis auszuweichen, balancierten über noch immer gefrorene Stellen und klopften »Bei Gretl« vor der Eingangstür Schneereste von den Schuhen. In der maßlos leeren Kneipe sang Bata Illic, zum Glück nur aus dem Lautsprecher. Wenigstens hatte er Sand in den Schuhen und kein Wasser wie Martin und ich. An den vier Tischen mussten bis vor kurzem Leute gesessen haben, leere und halb leere Gläser standen herum, aus den Aschenbechern quollen die Kippen. Auf einem Tisch lag eine Zeitung vom nächsten Tag – das bedeutete, es gab eine Zukunft in all der Verlassenheit. Wir stellten uns an die Theke, an deren Rand ein fast volles Bierglas stand. Im Regal dahinter reihte sich eine Kassette an die nächste, weit und breit keine CDs. Neben der Spüle ein Bataillon ungespülter Gläser. Nach einer Minute kam ein grauhaariger dürrer Mann in Röhrenjeans und einem schwarzen Sweatshirt mit dem Aufdruck »Motorhead« aus einem Nebenraum, wahrscheinlich aus der überflüssigen Küche.
    »Woisser?«, fragte er uns. Er zündete sich eine Ernte an, warf das Feuerzeug unter den Tresen, vielleicht, weil es ein Wegwerffeuerzeug war, und glotzte uns an.
    »Iswas?«, sagte er am Ende seiner Begutachtung. Ich zeigte ihm meinen blauen Dienstausweis.
    »Bullenund?«
    Möglicherweise musste er alle Worte zusammenziehen, damit er schneller sprechen konnte, um bei seinen Gästen auch einmal zu Wort zu kommen. Ich hielt ihm die beiden Fotos hin. »Kennen Sie diese Männer?«
    Er schaute hin, nickte, sah zu den Toilettentüren und nickte wie ein Wackeldackel bei hundertachtzig auf der Autobahn. Es machte mich schwindlig, ihn anzusehen.
    »Ein Bier bitte«, sagte Martin.
    Ich sagte: »Haben Sie einen Kaffee?«
    Er sagte: »Kaffeeumdieuhrzeitwirklichnicht!«
    Aus dem Kühlfach holte er eine Flasche Bier und schenkte ein. Viele Wirte kleinerer Lokale waren in jüngster Zeit dazu übergegangen, das Zapfen einzustellen und stattdessen Flaschenbier zu verkaufen, auf diese Weise sparten sie die hohen Kosten für die Containerkühlung.
    »Zumwohlwasismitdenzwei?«
    »Wie heißen Sie?«, sagte ich.
    »Obiwiederbaumarkt.«
    »Obiwiederbaumarkt«, sagte ich.
    »Obi«, sagte er.
    »Ist das eine

Weitere Kostenlose Bücher