Süden und der Luftgitarrist
Abkürzung?«
»Ichheißottoaberdassagtkeinerobireichtdochoder?«
»Ja«, sagte ich. »Wann haben Sie die beiden Männer zuletzt gesehen?«
Das Krachen einer Tür gegen die Wand unterbrach den Gesang von Roger Whitacker. Mit dem Rücken zum Lokal taumelte ein Mann aus der Toilette. Er ruderte mit den Armen, warf den Kopf in den Nacken, fuchtelte mit den Händen und riss mehrmals hintereinander das rechte Bein angewinkelt in die Höhe. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, was er da machte. Auch Martin, mit dem ich noch kein Wort gewechselt hatte, seit wir bei Gretls Obi waren, trat vom Tresen zurück und beobachtete den Mann. Gleichzeitig gingen wir auf ihn zu. In diesem Moment schnellte er herum, hob den rechten Arm und ließ ihn durch die Luft sausen. The Vagabond spielte Luftgitarre. Als er uns bemerkte, hielt er abrupt inne, seine Arme fielen schlaff herunter, und er tastete nach dem fast vollen Bierglas auf dem Tresen. Er trank und schaute uns dabei an, holte mit aufgerissenem Mund Luft, stellte das Glas ab, schwankte und brachte nur mühsam die Augen auf.
»Mr Jeepster«, sagte er heiser und wiederholte den Namen mit erschöpfter Stimme.
Martin umarmte ihn ungelenk, und Edward Loos schlenkerte mit den Armen wie eine Puppe.
»Wasisjetztdahabtihrihnja!«, sagte Obi. Edwards Gesicht sah aufgedunsen und schmutzig aus, seine Haare hingen ihm vom Kopf wie Fransen, seine dunklen Jeans waren voller Wasserränder, das hellblaue Hemd strotzte vor Flecken, seine ganze Erscheinung war die eines Mannes, der seit Tagen nicht geschlafen und die Nächte im Freien verbracht hatte, dessen Blicke ständig auf der Suche waren und nie ihr Ziel fanden. Jetzt fiel mir auf, dass Obi wieder oder immer noch nickte.
»Alles klar bei Ihnen?«, sagte ich. Er steckte sich eine Ernte an und hörte auf zu nicken.
»Der andere Mann auf dem Foto«, sagte ich. »Wann haben Sie den zum letzten Mal gesehen?«
»Wasweißichletztesjahrhabichdemauchschontausendmal erklärt.«
Ich sagte: »Ist Gretl zu sprechen?«
»Dieiskrankschonseitsechswochen.«
Edward Loos hatte den Arm um Martin gelegt, sie standen nebeneinander am Tresen, dem Lokal zugewandt, als warteten sie auf ein Ereignis, einen Auftritt. Martin war einen Kopf kleiner als Edward und wirkte gegen ihn wie ein Hänfling. Edward hatte Mühe aufrecht zu stehen, immer wieder kippte er nach links und musste sich bei Martin aufstützen, der einen Schritt zur Seite machte, um das Gewicht des anderen abzufangen.
»Jedenabendkommtderjetzt«, sagte Obi.
»Tut mir leid…«, begann Edward, und sein Arm hing von Martins Schulter. »Ich hab dich… Ich hab… Hab Aladin suchen müssen. Hab ihn nicht gefunden.« Er schnappte nach Luft, griff, während er sich weiter an Martin festhielt, mit der anderen Hand nach seinem Glas, trank und brachte den Mund nicht rechtzeitig zu. Bier lief über sein Kinn und tropfte auf sein Hemd. »Wo kommst du überhaupt her, Jeepster?«
»Wir haben dich gesucht«, sagte Martin. »Das ist mein Kollege Tabor Süden, du kennst ihn, er war bei uns im Konzert.«
Er sagte tatsächlich Konzert, und ich fand es nicht lächerlich, nicht im Geringsten. Edward reckte den Hals , sah zu mir her, hob sein Glas, verlor das Gleichgewicht und kippte um. Mit einem dumpfen Geräusch schlug er auf dem Boden auf, den Arm von sich gestreckt, sodass zwar Bier aus dem Glas schwappte, das Glas aber unbeschädigt blieb.
»Soeinscheißjetzt!« Obi zerquetschte die halb gerauchte Zigarette im Aschenbecher und verschwand im Kabuff.
»Achtung!«, sagte Martin, packte Edward unter den Achseln, und ich half ihm, ihn auf einen Stuhl zu setzen.
»Sorry«, sagte Edward. Er betrachtete das Glas in seiner Hand. »Absolut. Absolut.« Er stellte es vor sich auf den Tisch und zeigte mit dem Finger darauf. »Absolut.«
Mit einem Putzlappen aus dem vorigen Jahrhundert wischte Obi die Bierlache auf, stellte den Wischer in einen Eimer und diesen vor die Wand. Vermutlich sollte die Putzfrau ihn am nächsten Morgen ausleeren.
»Hast du eine Ahnung, wo dein Bruder sein könnte?«, sagte Martin und setzte sich an den Tisch. Ich blieb stehen. Und als herrschte an diesem Ort nicht schon genug Elend, fing auch noch Bernd Clüver zu singen an. Nach ein paar Takten warfen sich Martin und Edward einen Blick zu und im nächsten Moment zeigten sie dem Jungen mit seiner piepsigen Mundharmonika, was ein echter Riff war.
»Spinnendiewasmachendieda?«, rief Obi dazwischen. Ich sagte: »Sie spielen
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