Süden und der Luftgitarrist
seine Mitspieler ihn deswegen ausgelacht haben. Dann hat er sich das Haus gekauft. Natürlich nicht dort, wo die anderen eines hatten, irgendwo im schmucken Grünen, er nicht. Er hat mich so lange belämmert, bis ich ihn zu meinem Kollegen Hollender geschickt habe, und der war stolz, einen berühmten Fußballspieler als Klienten zu kriegen. Allerdings war er ziemlich überrascht, als Aladin ihm sagte, er möchte ein Haus hier in der Gegend, also da, wo kaum jemand freiwillig hinzieht. Innerhalb von einer Woche hat er dann das Haus gekauft.«
»Und Sie haben sich regelmäßig getroffen«, sagte ich. Sie antwortete nicht sofort. »Er ließ nicht locker. Er hatte damals noch keine Freundin. Mit seinen Kameraden aus der Mannschaft musste er in Discos gehen, was er hasste. Er mochte keine Diskotheken. Eigentlich mochte er nichts , was die anderen mochten. Nichts.«
»Fußball«, sagte ich.
»Bitte?«, sagte sie. Aber sie sah mich nicht an.
»Fußball mochte er, so wie die anderen.«
»Ich weiß nicht«, sagte sie mit gesenktem Kopf. »Nein.« Sie sah mich an. »Heute würde ich sagen, er mochte Fußball nicht. Er spielte, weil er Talent hatte, großes Talent. Und dieses Talent überforderte ihn, es belastete ihn, es zwang ihn, jemand zu sein, der er nicht sein wollte. Aladin war ein labiler Mensch, er war schnell verunsichert und er ahnte, dass er sich in einer verkehrten Welt bewegte. Er ahnte, dass er diesen Stress nicht durchhalten würde. Aber dumm war er nicht, er hat ein paar gute Werbeverträge unterschrieben und Geld damit gemacht.«
»Das Geld hat er bei Ihnen angelegt«, sagte ich.
»Auf meiner Bank«, sagte sie.
»Sie haben ihm spezielle Konditionen angeboten.« Sie antwortete nicht.
»Das geht uns nichts an«, sagte ich.
»Sie haben ihm auch geholfen, Schwarzgeld anzulegen«, sagte Martin mit einer abweisenden Geste. Wenn ich sah, wie ein Grimm, den er nicht unter Kontrolle hatte, ihn zwang, ständig das leere Bierglas in der Hand zu drehen und sein Gegenüber anzusehen, als wäre die Frau eine Verbrecherin, wusste ich, dass er in Gedanken bei seiner Lilo war, einer sechsundfünfzigjährigen Prostituierten, mit der ihn eine nächtliche Liebe verband. Er brauchte sie und verachtete sie doch, weil es ihm nicht gelang, eine andere Frau kennen zu lernen, eine, die den Tag bewohnte und mit der er vielleicht in einem Anfall überraschenden Übermuts während der Dienstzeit in ein Hotelzimmer gehen konnte und in deren Nähe er hinterher immer noch geborgen wäre. Es war höchste Zeit aufzubrechen.
»Darüber spreche ich nicht«, sagte Genoveva Viellieber.
»Sie waren also ein Liebespaar«, sagte Martin mit dem Glas in der Hand.
»Geht Sie das was an?«, sagte die Frau nicht minder hart.
»Vielleicht«, sagte ich. »Aladin war außer Ihrer Mutter der Einzige, der von Ihrer Schwerhörigkeit wusste.«
»Ja«, sagte sie.
»Sie waren Verbündete«, sagte ich. Was sollte sie darauf erwidern?
»Hatten Sie neulich Geburtstag?«, sagte ich. Sie schaffte es, mich anzusehen, bevor ihr Blick zu dem weiß gedeckten Tisch mit den Geschenken wanderte.
»Vor einer Woche bin ich sechzig geworden.«
Nach einem Schweigen sagte ich: »Hat Aladin mit Ihnen gefeiert?«
»Nein«, sagte sie mir ins Gesicht.
»Sie haben ihn seit Silvester nicht mehr gesehen«, wiederholte ich.
»Seinem Bruder hat er verschwiegen, dass er bei mir wohnt«, sagte sie. Jetzt, so schien mir, war ihr Gesicht nicht mehr offen und anziehend, der Alkohol und die vielen, gegen ihren Willen glimmenden Worte hatten es verunziert, die Wangen waren bleich und die Haut war rissig und der Lippenstift verschmiert, und es war ihr egal.
»Sie haben immer nur übers Handy miteinander gesprochen.«
»Geben Sie mir bitte seine Nummer«, sagte ich.
»Außerdem brauchen wir einige Adressen.«
»Was für Adressen?«, sagte sie.
Bei der Verabschiedung sah ich mir die Sporttasche auf der Ablage der Garderobe genauer an. Sie trug das rote Emblem des FC Bayern.
»Du musst fahren«, sagte Martin draußen zu mir. Dann zeigte er auf das blaue Straßenschild. »Frau Viellieber in der Maßliebchenstraße.« Er taumelte, gewiss nicht, weil er betrunken war. Vielleicht bereitete ihm der glitschige Matsch Probleme, vielleicht dachte er an zu vieles gleichzeitig, vielleicht taumelte er auch nur, weil er nach dem langen Sitzen Lust dazu hatte.
Frau Viellieber hatte uns nicht mehr als zwei Lokale nennen können, »Bei Niki« und »Bei Gretl«, in denen Aladin angeblich
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