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Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Titel: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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nicht bei der Soko, glaub ich dir ja. Aber der Niko ist kaputt, der kann sich nur noch die Kugel geben. Verstehst?«
    »Die Soko hat ihn nie als Verdächtigen behandelt«, sagte ich.
    »Na und?«, sagte Sissi. »Die Zeitungen und das Fernsehen sind wichtiger als die Soko. Wenn die sagen, der Niko ist schuldig, dann ist der schuldig, oder, stimmts nicht?«
    »Er ist nicht schuldig«, sagte ich.
    »Dann sags deinen Kollegen!« Ihr abschätziger Blick traf auch Martin, der von der Toilette zurückkam .
    »Das brauche ich meinen Kollegen nicht zu sagen, die wissen es.«
    »Der Niko ist am Ende, und die Anna ist immer noch verschwunden, und ihr habt keine Ahnung!« Sie überlegte einen Moment und nannte die Summe, die wir zu zahlen hatten. Ich legte einen Schein auf die Theke .
    »So stimmts«, sagte ich.
    »Danke«, sagte Sissi. Vermutlich fing sie bereits an, uns zu vergessen.
    Draußen war es warm, und aus dem offenen Fenster eines Wohnhauses gegenüber der Kneipe drang ein Song, den Martin und ich gut kannten und mochten.
     
    Crickets are chirpin’, the water is high,
    There’s a soft cotton dress on the line hangin’ dry …
     
    Auf dem kiesbedeckten Parkplatz lauschten wir eine Weile, dann zündete sich Martin eine Salemohne an und steckte dabei den Zettel in Brand, den ich ihm zugeschoben hatte.
    »Haben die uns zugehört?«, sagte er .
    Mit dem Schuh verteilte er die verkohlten Papierreste unter den Kieseln.
    »Die Frage ist, ob sie was verstanden haben.«
    Vielleicht war es eine winzige Geste gewesen, die mich ernüchtert hatte, die Bewegung der Hand zur Innentasche der Jacke, ein Fingersignal zum Nebenmann – schlagartig wusste ich Bescheid und wunderte mich nur noch, warum ich die ganze Zeit nichts gemerkt hatte .
    »Sie haben die Kollegen vor Ort angeschwindelt«, sagte Martin. »Sie trauen ihnen nicht. Wieso sind mir die beiden nicht aufgefallen?«
    »Vielleicht täusche ich mich«, sagte ich.
    »Garantiert nicht. Beim Rausgehen hab ich sie mir angeschaut, die warten auf Krapp.«
    »Er wird von vier Leuten beschattet«, sagte ich. »Zwei warten vor seinem Haus und folgen ihm dann, und zwei sind schon am Ziel und warten.«
    »Deswegen heißen sie Zielfahnder.« Martin trat die Zigarette aus. »Wenn sie mitgekriegt haben, wer wir sind, gibts Ärger. Warten wir auf Krapp?«
    »Natürlich«, sagte ich. »Wie spät ist es?«
    Martin trug wie ich keine Armbanduhr, und wir setzten uns in den klapprigen braunen Opel, mit dem er aus München gekommen war. Vor langer Zeit hatte das Auto als Dienstwagen fungiert, inzwischen tuckerte es mit maximal neunzig Stundenkilometern über die Autobahn, was für Martins Fahrstil reichte. Auf Landstraßen kam er über den dritten Gang kaum hinaus, nach vorn gebeugt, hockte er hinter dem Lenkrad, die Zeit verging nicht, und die Kiste kroch dahin. Und je lauter das Hupkonzert um sie herum anschwoll, desto störrischer schienen Fahrer und Fahrzeug darauf zu reagieren. Mit Martin im Auto unterwegs zu sein kam fast einer buddhistischen Übung in Geduld, Konzentration und kosmischer Nachsicht gleich .
    Die Uhr am Armaturenbrett zeigte sieben Minuten nach elf. Wir kurbelten die Fenster herunter und warteten. Von unserem Platz aus, unmittelbar neben dem Zaun zum Gehweg, hatten wir eine gute Sicht auf den Eingang der Kneipe. Außer Martins Opel standen drei weitere Autos auf dem Parkplatz, darunter ein schwarzer BMW, der vermutlich unseren Kollegen von der Soko gehörte.
    Der Song aus dem Fenster begann von vorn. Martin summte ihn mit.
     
    … Not a word of goodbye, not even a note ,
    She went with the man in the long black coat.
    Somebody seen him hanging around at the
    old dance hall on the outskirts of town …
     
    Nach fünfzehn Minuten in Schweigen sagte Martin: »Wann kommt Sonja zurück?«
    »Heute oder morgen«, sagte ich .
    »Hast du mit ihr telefoniert?«
    »Einmal. Alles ist in Ordnung.«
    »Lanzarote ist die Insel mit dem Vulkan?«, sagte Martin .
    »Ja«, sagte ich.
    »Ich hab einen Bildband von den Kanarischen Inseln.«
    Das überraschte mich nicht. Martin Heuer sammelte Bildbände ferner Länder, Landkarten, Stadtpläne, Reisemagazine, Prospekte aller Art. Seine Sammlung füllte inzwischen Regale und Schränke. Aber er verreiste nie .
    Ähnlich wie ich. Für unsere Sturheit in Reisedingen hatte Sonja nicht das geringste Verständnis, meine Weigerung, sie nach Italien oder Spanien zu begleiten, hielt sie für eine persönliche Beleidigung und eine Missachtung unserer

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