Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel
ich mich noch einmal zu Martin um und wäre deshalb beinah über den Mann gestolpert, der vor dem Tresen auf dem Boden kauerte und weinte.
6
» S eid ihr jetzt glücklich?«, sagte Sissi .
»Nein«, sagte ich.
»Trink lieber noch ein Bier, Niko, lass den Schnaps weg!«
»Wodka«, keuchte Nikolaus Krapp mit gesenktem Kopf, die Hände zwischen die Knie geklemmt, gebückt auf der Eckbank, seinem Stammplatz.
Mit der Unterstützung der Wirtin, die Stühle aus dem Weg räumte, hatten Martin und ich den angetrunkenen, vollkommen übermüdeten Friseur vom Boden in die Höhe gestemmt, seine Arme um unsere Schultern geschwungen und ihn vom Tresen zum Tisch neben dem Fenster geschleppt. Dort ließ er sich auf die mit einem karierten Polster ausgelegte Bank plumpsen und starrte uns an, während Sissi die Bierdeckel ordnete, die er mit dem Ellbogen über den Tisch gefegt hatte .
»Das sind Bullen«, sagte sie, als sie die Wodka- und Biergläser brachte.
Hastig trank Niko den Schnaps und knallte das kleine Glas auf den Holztisch. »Wir waren zusammen in der Schule, erzähl mir nichts, Sissi! Bring mir noch einen!«
»Trink erst dein Bier, Niko!«
»Du hättst echt Krankenschwester bleiben sollen!« Er griff nach seinem Glas und verfehlte es. Dann hob er es hoch, und sein Arm zitterte. »Prost, Bullen! Lang nichts mehr von euch gehört.« Schmatzend hielt er das Glas fest, stützte den Ellbogen auf und drehte den Kopf zu Martin, der neben ihm saß. »Du bist der Heuer.«
Martin nickte. Ich saß Niko gegenüber, und er brauchte eine Weile, bis er seinen Blick auf mich eingestellt hatte. »Haben sie jetzt eine Berühmtheit auf mich angesetzt?«
Ich sagte: »Ich bin keine Berühmtheit, Niko.«
»Ich hab dich mindestens zehnmal in der Zeitung gesehen. Bist du jetzt Chef von der Soko?«
»Nein«, sagte ich. »Ich bin nicht in der Soko, ich bin für den Fall nicht zuständig, und Martin auch nicht. Wir sind privat hier.«
»Wieso?« Niko stellte für einen Moment das Glas ab und führte es anschließend, obwohl es fast leer war, mit zwanghafter Behutsamkeit zum Mund, die Finger gespreizt, mit abstehendem Arm.
An Sissi gewandt, die immer noch bei uns stand, sagte ich: »Kennst du die beiden, die mit uns am Tresen gesessen haben?«
»Schauen seit einer Woche rein«, sagte Sissi. Seit Martin und ich in ihre Kneipe zurückgekehrt waren, beachtete sie uns nur notgedrungen. Dass wir uns im Gegensatz zu den übrigen Gästen um Niko gekümmert und ihm geholfen hatten, aus seiner Elendsstellung wieder auf die Beine zu kommen, rettete unser Ansehen bei ihr nur geringfügig.
»Weißt du, was sie machen?«, sagte ich .
»Vertreter, glaub ich.«
»Was vertreten sie denn eine Woche lang am selben Ort?«
Sissi nahm Nikos Schnapsglas. Als sie sich über den Tisch beugte, sah ich den Teil einer Tätowierung auf ihrer Schulter.
»Hättst sie halt gefragt, sie sind nette Gäste, ich freu mich, wenn ich sie seh.«
»Haben sie zwischendurch mal telefoniert?«, sagte Martin. So wie sie nebeneinander saßen, er und Niko, graugesichtig und gekrümmt, mit trüben, trostlosen Augen, hätten sie Weggefährten sein können, die jede Nacht Obdach bei Sissi suchten und sich erst einmal – für einige Minuten der Einkehr und aus hämischer Gleichgültigkeit gegenüber dem Schmutz der Welt – auf den Boden legten, um das Schicksal des Ungeziefers zu beweinen .
»Na und?«, sagte Sissi. »Geht dich das was an?«
»Wahrscheinlich haben sie telefoniert, kurz bevor sie bezahlt haben und gegangen sind«, sagte Martin .
Auf dem Weg zum Tresen drehte Sissi den Kopf halb nach hinten. »Schlauer Bulle! Durchs Fenster spioniert?«
Nachdem er sein Glas ausgetrunken hatte, schälte Niko sich aus der Windjacke, indem er mit den Armen schlenkerte und dabei mehrmals Martin anstieß. Aber keiner der beiden sagte etwas. Niko knüllte die Jacke zusammen und stopfte sie in die Ecke, als nehme sie sonst zu viel Platz weg. Ungeduldig blickte er zur Theke, hinter der Sissi Bier zapfte, und schaute dann mit müdem, nervösem Blick durch mich hindurch, bis die Wirtin mit dem frischen Glas kam.
»Wir nehmen auch noch zwei«, sagte Martin .
»Wo ist mein Wodka?«, sagte Niko.
Vielleicht traf ihn nun, da er sich in unserer Gesellschaft befand, ebenfalls Sissis Bannstrahl. Sie nickte nur noch knapp und verschwand wortlos.
»Prost und weg!«, sagte Niko, trank und knallte das Bierglas auf den Tisch, lehnte den Oberkörper schräg nach hinten und musterte Martin wie
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