Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel
sagte Martin.
»Sie müssen auch was essen«, sagte Irmi. »Sie fallen ja gleich vom Fleisch.«
»Ich fall schon nicht«, sagte Martin .
Ich bestellte einen Wurstsalat.
»Wollen Sie nicht auch einen, Herr Heuer?«, sagte Irmi . »Der ist von frischen Regensburgern, mit Essiggurken drin und Tomatenstücken, schmeckt unheimlich frisch.«
»Unheimlich frisch?«, sagte Martin und zündete sich eine Salemohne an.
»Rauchen ist so ungesund«, sagte Irmi .
»Er nimmt auch einen Wurstsalat«, sagte ich .
»Das ist gescheit«, sagte Irmi. »Bloß gut, dass Sie den Herrn Süden haben, der für Sie sorgt, Herr Heuer.« Sie zwinkerte mir zu und verschwand .
»Wieso muss ich jetzt einen Wurstsalat essen?«, sagte Martin.
»Weil der unheimlich frisch schmeckt«, sagte ich .
Er rauchte und schwieg. Dann zupfte er sich Tabakkrümel von der Lippe und sagte: »Willst du mit dem Krapp reden?«
»Vielleicht«, sagte ich .
»Verstehe, und wann?«
»Heute Nacht.«
»Denk dran, dass er nicht allein ist.«
»Ich treffe ihn bei Sissi«, sagte ich. »Und du auch.«
»Wir sind nicht zuständig«, sagte Martin .
»Wir sind ganz privat und ganz zufällig in der Kneipe.«
Martin drückte die Zigarette aus.
Ich verschränkte die Arme, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
Die Sonne ging unter und hinterließ samtene Luft .
Nach zehn Minuten brachte Irmi zwei Portionen Wurstsalat. Er sah wirklich unheimlich frisch aus.
5
D er Anblick des Tresens katapultierte mich in einen uralten Rausch, der kopfüber in meinem Gedächtnis hing wie eine lederne unsterbliche Fledermaus. Das ungeheizte, bierverklebte, zerkratzte, im Dunst gedunkelte Holz, der Geruch nach Kellerbeton und Moder, die Salzstangen in den Plastikbechern, die ausgefransten Bierdeckel, der dumpfe, lästige Klang der Verschalung, wenn man sich auf den Barhocker setzte und sofort mit den Knien dagegenstieß, die magnetische Wirkung, die der Tresen zu entfalten schien, sowie das erste Glas oder die erste Flasche darauf stand, in näherer Reichweite als der Rest der Welt zuvor, die Illusion unbedingter Geborgenheit an diesem Schutzwall gegen alles, was woanders zählte. Ich war sechzehn, als ich in dieser Kneipe am südlichen Ortsausgang von Taging ein Helles bestellte, und es war nicht Sissi, sondern Bibiana vom Finkenweg 5, die es mir brachte und sagte:
» Sehr zum Wohl, du bist der Tabor Süden, stimmt doch, oder? «
»Ja«, sagte ich.
»Du bist noch nie da gewesen, oder?«
»Stimmt«, sagte ich und war vierundvierzig oder sechzehn.
» Und du? Wie heißt du? «
»Martin.«
» Hallo, Martin. «
»Hallo«, sagte Martin.
Wir hoben die Flaschen, sahen uns kurz an und tranken .
» Danke für die Einladung « , sagte ich zu Bibiana und zu Sissi: »Kennst du den Niko?«
»Welchen Niko?«, sagte Sissi .
»Nikolaus Krapp.«
»Was wollt ihr von dem?«
» Geht ihr mit Niko in dieselbe Klasse? « , sagte Bibiana .
» Nein « , sagte ich. »Wir sind zusammen in die Volksschule gegangen«, sagte ich zu Sissi. »Er ist dann auf die Realschule und wir sind aufs Gymnasium, aber wir haben trotzdem in derselben Mannschaft Fußball gespielt.«
»Ach so.«
» Das weiß ich « , sagte Bibiana, » du bist Torwart und Martin ist Verteidiger. «
»Bring uns noch zwei!«, sagte Martin .
»Klar«, sagte Sissi.
Martin zündete sich eine Zigarette an. »Wie war das?« Er schaute über meine Schulter zur Tür, durch die ein neuer Gast hereinkam. »Niko war vor dir mit Bibiana zusammen.«
»Nein«, sagte ich. »Mit Evelin, ihrer Schwester. Ich habe Bibiana auf dem Geburtstag ihrer Schwester kennen gelernt, unsere ganze Mannschaft war eingeladen.«
»Weiß ich nicht mehr«, sagte Martin .
Sissi stellte die grünen Flaschen auf den Tresen. »Du bist doch zur Polizei gegangen, oder?«, fragte sie mich .
»Ja«, sagte ich.
»Hast du was mit der Anna zu tun?«
»Nein«, sagte ich. »Ich möchte nicht dienstlich mit Niko reden. Wir haben bei ihm geklingelt, aber er war nicht da, also haben wir ein paar Lokale abgeklappert. Für den Fall Anna sind wir beide nicht zuständig.«
»Du bist auch bei der Polizei«, sagte Sissi zu Martin .
Er nickte und trank.
Ich schätzte Sissi auf Ende dreißig und konnte mich nicht erinnern, ihr früher einmal begegnet zu sein. Sie war eine kräftige Frau mit wuchernden dunkelblonden Haaren, die sie mit kleinen Kämmen zu bändigen versuchte. Sie hatte die Ärmel ihrer weißen Bluse hochgekrempelt und trug eine schwarze Taucheruhr
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