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Süden und der Straßenbahntrinker

Süden und der Straßenbahntrinker

Titel: Süden und der Straßenbahntrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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sagte Junginger, hob die gefalteten Hände und ließ sie wieder auf die blaue Schreibtischunterlage fallen. »Er war sehr beliebt, die Leute mochten seine Stimme, er war ein erfahrener Mann, gelernter Schauspieler…«
    »Wieso ›war‹?«
    »Tschuldigung?«
    »Der Mann lebt noch.«
    »Tschuldigung… tschuldigung, ist mir so rausgerutscht… Er ist… er arbeitet nicht mehr für den Funk, das meine ich, er hat aufgehört, vor… ungefähr vier Jahren…«
    »Warum hat er aufgehört?«
    Wieder machte Junginger die Bewegung mit den gefalteten Händen.
    »Er musste… er hat… die Abteilung hat ihm nahegelegt, kürzer zu treten, er hat… Ich möchte nichts Negatives über ihn sagen, ich kannte ihn nicht sehr gut, ich war damals noch Vize hier in der Abteilung, ich leite die Pressestelle erst seit einem Jahr…«
    »Herrn Holzapfel wurde gekündigt«, sagte ich. Vor vier Jahren und sechs Monaten, hatte er meinen Kollegen erklärt, sei er als vermisst gemeldet worden.
    Junginger nickte.
    Das Telefon klingelte.
    Ich stand auf. Dieses ständige Sitzen, während anderswo die Sonne schien, machte mich unruhig. Ich ging zur Wand und lehnte mich dagegen. Den Hörer am Ohr, schaute Junginger zu mir her.
    »Ist kein Problem, Eva, ja… hernach… Ich bin noch nicht fertig, gut, geh schon mal vor…«
    Er legte auf.
    »Alles in Ordnung?«, fragte er.
    »Ja.«
    Weil ich nichts weiter sagte, stutzte er, rollte mit dem Stuhl ein Stück zurück und schlug die Beine übereinander. Meiner Meinung nach passte seine gelbe Krawatte nicht gerade ideal zu dem dunkelroten Hemd.
    »Gekündigt«, sagte er, ohne mich anzusehen. »Die Sache ging hinauf bis zum Intendanten. Holzapfel war ein superbekannter Sprecher, haben Sie den nie gehört?«
    »Nein«, sagte ich. Mir fiel auf, dass ich kaum noch Radio hörte, meist nur im Taxi, wenn ich dienstlich unterwegs war.
    »Er war… er wollte nicht kündigen, er hat mit dem Arbeitsgericht gedroht…«
    »War er fest angestellt?«
    »Er war freier Fester«, sagte Junginger. »Er hatte einen besonderen Status, ich müsste nachschauen. Auf alle Fälle kann man so einen Mann nicht einfach rausschmeißen…«
    »Was hat er denn angestellt?«
    Junginger rollte wieder zum Schreibtisch und faltete die Hände.
    »Angestellt… Er hat getrunken… das tun viele… er hat getrunken und er… Er hat sich vernachlässigt… Es gab auch Fotos in der Presse, er hatte Frauengeschichten, Prostituierte waren auch dabei… Ich persönlich fand das Ganze unangenehm, ich fand, er ist da in was reingeraten, er hat sich ausnutzen lassen, es war nicht seine Schuld, das alles. Aber hier im Haus hatte man Befürchtungen wegen der schlechten Presse…«
    »Gab es einen Prozess?«
    »Nein, nein, er hat die Kündigung dann akzeptiert, er hat alles unterschrieben und sich nie mehr blicken lassen. Ich persönlich habe nie wieder was von ihm gehört. Was ist passiert, ist er verschwunden?«
    »Das wissen wir noch nicht«, sagte ich. »Kennen Sie seine Frau?«
    »Nein. Er war geschieden, habe ich gedacht. Ich habe nur gehört, er soll eine Freundin gehabt haben, Flurgerede, angeblich war die Freundin der Grund für die Scheidung…«
    »Wie hieß die Freundin?«
    »Sekunde.« Er ging zur Tür und riss sie auf. »Eva, gut, dass du noch da bist! Erinnerst du dich an den Jeremias Holzapfel, der hatte doch eine Freundin…«
    Eva hatte eine dünne Jacke an und ein dickes schwarzes Mäppchen in der Hand. Sie war gerade dabei gewesen, sich die Lippen zu schminken.
    »Holzapfel«, sagte sie und klappte den kleinen Spiegel zu.
    »Gibts den auch noch? Woher soll ich wissen, wie die Freundin hieß? Das ist ewig her.«
    »Danke, Eva«, sagte Junginger.
    »Hatte er einen Freund hier im Haus?«, fragte ich.
    »Wie meinen Sie das, einen Freund?«
    Ich sagte: »Jemand, dem er sich anvertraut hat.« Junginger zuckte mit den Achseln.
    »Jetzt fällt mir was ein!«, sagte Eva. »Hrubesch! Ich glaub, die Frau hieß Hrubesch, wie der Fußballspieler damals…«
    »Du interessierst dich für Fußball?«, sagte Junginger.
    »Du nicht?«, sagte sie. Ich fragte mich, ob solche Blicke auf der Sekretärinnenschule gelehrt wurden, nur Frauen in diesem Beruf konnten so schauen. Erika, unsere Assistentin auf der Vermisstenstelle, beherrschte diesen Blick ebenfalls perfekt.
    Ich verabschiedete mich von den beiden.
    »Ich bring Sie runter«, sagte Junginger.
    »Ich schaffs allein«, sagte ich.
    Im Foyer rief der Pförtner: »Grüßen Sie Herrn Holzapfel von

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