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Süden und der Straßenbahntrinker

Süden und der Straßenbahntrinker

Titel: Süden und der Straßenbahntrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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waren, hockte ich auf dem Boden, an die Wand gelehnt, und trank schwarzen Kaffee.
    »Wie gefällt es Ihnen in der neuen Wohnung?«, fragte ich.
    »Ich gewöhn mich noch dran.«
    »Milbertshofen ist eine eigene Gegend.«
    »Zumindest bezahlbar«, sagte sie. Dann schwiegen wir.
    Am anderen Ende hörte ich Telefone klingeln und andere Geräusche, die mich daran erinnerten, dass ich Urlaub hatte.
    »Was vermuten Sie?«
    »Bitte?« Ich stellte die Tasse auf den Boden.
    »Warum hat die Frau die Anzeige zurückgezogen?« Ich sagte: »Das haben Sie mir doch vorhin erklärt.«
    »Und Sie glauben das?«, fragte sie.
    »Warum nicht?«
    »Sie lügen«, sagte sie. Ja, sagte ich nicht.
    Kein halbwegs erfahrener Polizist glaubt die Aussage eines Opfers, es ziehe die Anzeige zurück, damit kein Unschuldiger ins Gefängnis müsse, schließlich sei der Täter ja nur betrunken gewesen. Jeder halbwegs erfahrene Polizist vermutet sofort eine Täter-Opfer-Beziehung und ebenso schnell wird ihm klar, wie schwierig es sein würde, eine Frau dazu zu bringen, mutig zu sein und nicht klein beizugeben. Doch solche Überlegungen waren im Fall Holzapfel überflüssig, zumal die Verletzungen der Frau offenbar nicht schlimm waren und der Mann weder vorbestraft noch durch gewalttätiges Auftreten bekannt war.
    Der Grund, warum ich nicht anders konnte als Sonja anzulügen, war, dass ich nicht weiter über die Sache sprechen wollte. Inzwischen war ich viel zu sehr darin verstrickt. Sogar mit Paul Weber hatte ich beim Bier fast eine Stunde über Holzapfel geredet, und am Ende saßen wir beide genauso ratlos nebeneinander wie am Anfang. Derzeit bearbeiteten meine Kollegen einschließlich Sonja Feyerabend vier komplizierte Vermissungen, darunter die Fälle zweier Kinder, und niemand hatte Zeit, sich um einen spinnenden Exsprecher und meine Kapriolen zu kümmern. Und es wäre mir unangenehm gewesen, wenn im Dezernat jemand erfahren hätte, was ich in meinem Urlaub trieb.
    Als einzelgängerisch, unberechenbar und stur zu gelten war das Eine. Daran war ich gewöhnt. Das andere war, als Witzfigur dazustehen. Ich ertrug es, vor mir selbst lächerlich zu erscheinen, aber sonst vor niemandem. Höchstens vor Martin Heuer. Aber mit ihm war ich groß geworden, ihn kannte ich, seit ich ein Jahr alt war, keiner von uns beiden konnte sich vor dem anderen blamieren, oft begriffen wir den anderen bei dem, was er tat, schneller als uns selbst. Dass ich dennoch oft Angst um ihn hatte und er vielleicht um mich, war eine andere Geschichte.
    Als Polizist wollte ich zumindest nach außen hin ein einigermaßen vernünftiges Bild abgeben, auch wenn mir bewusst war, dass ich, so wie ich aussah und mich kleidete, auf viele Leute, auf Kollegen und Vorgesetzte einen eher polizeiunähnlichen Eindruck machte.
    »Ich weiß nicht, ob ich Sie reinlassen soll«, sagte sie, nachdem sie mich eine halbe Minute lang von oben bis unten angestarrt hatte.
    Dabei hatte ich ein frisches weißes Hemd angezogen und mir die Haare gewaschen. Wie üblich trug ich meine an der Seite geschnürte Lederhose und meine gemusterten Stiefel. Die Lederjacke hatte ich zu Hause gelassen.
    »Ich bin nicht offiziell hier«, sagte ich zum zweiten Mal. Für einen Polizisten, der seinen Ausweis vorzeigte und Fragen zu einem konkreten Fall stellte, war das eine zwielichtige Aussage.
    »Ich bin nicht im Dienst«, korrigierte ich mich.
    »Warum sind Sie dann hier?«, fragte Esther Kolb.
    Sie wohnte in Harlaching in einer der Mißgeburten aus Beton, von denen es einige in diesem ansonsten aus Villen bestehenden Viertel gab. Manche Garagen waren garantiert geräumiger als meine Wohnung.
    »Ich glaube, Herr Holzapfel braucht Hilfe«, sagte ich.
    »Und Sie wissen, wo er sich aufhält.«
    »Weiß ich nicht«, sagte Esther Kolb. Sie war Anfang vierzig, einen halben Kopf größer als ich und breitschultrig. Den Kragen ihrer weißen Bluse hatte sie hochgestellt und zu den Bluejeans trug sie schwarze Schuhe, die bis über die Knöchel reichten. Im Gegensatz zu ihrer Figur wirkte ihr Gesicht schmal.
    Während ich sie betrachtete, fragte ich mich, wie es der schmächtige Holzapfel geschafft hatte, sie zu Boden zu werfen.
    »Ich bin auf dem Sprung«, sagte sie. »Ich hab meine Anzeige zurückgezogen, das wars. Was noch?«
    »Warum haben Sie sie zurückgezogen?«
    »Das hab ich schon erklärt.«
    »Woher kennen Sie Herrn Holzapfel?«, fragte ich.
    Sie lächelte mit der Hälfte ihres Mundes. »Ich kenn ihn nicht.«
    »Natürlich

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