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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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anschaute, das er auf »lautlos« gestellt hatte. Er spürte das Vibrieren und las die Nummer, wenn jemand von Fannys Handy anrief, aber er hörte die Mailbox nicht ab. Er wollte allein sein und Sachen machen.
    Das hatte er zu Fanny gesagt: Ich muss Sachen machen, jetzt sofort. Und sie fragte natürlich: Wie, sofort? Was meinst du mit sofort? Jetzt gleich oder wie? Wann denn?
    So ging das bei ihr immer. Wenn sie anfing zu reden, wiederholte sie alles hundertmal. Er mochte sie vom ersten Tag an. Weil sie so anders war als er und trotzdem ganz ähnlich. Wenn er bei ihr stand oder neben ihr am Tisch saß, spürte er die Wärme, die sie ausströmte, wie einen Klang auf der Haut. Es kam ihm vor, als löste ihr bloßes Nahsein ein leises, angenehmes Klingeln überall in seinem Körper aus, das nur er allein hörte. Wie früher am Heiligen Abend, wenn das Christkind durchs Fenster kam und er in seinem Zimmer schon wartete und sein Herz über ihn hinausschlug.
    Fanny konnte so viel labern und nervig in der Gegend herumhüpfen, wie sie wollte – wenn sie da war, hatte Adrian ein beschwingtes Empfinden. Und das hatte er schon am ersten Tag im Zeno-Haus gehabt, als er durch den Flur ging und sie auf der Treppe hockte und rief: »Rothaarige riechen fei nach Himbeeren!«
    der süden kan doch gar nich suchen,
schrieb er,
du bist blöd.
     
    blöd ist wer sagt der andere ist blöd,
schrieb Fanny ins Handy und schaute aus dem Fenster des Taxis.
    Sie saß neben Süden auf der Rückbank, die Kapuze ihres blauen, ausgebleichten Anoraks über dem Kopf, mit einem unauffälligen Grinsen.
    In der Fraunhoferstraße stauten sich die Autos. Ein Müllwagen rangierte zwischen den parkenden, eingeschneiten Fahrzeugen. Fanny sah, wie ein orange gekleideter Schwarzer mit einem Mann diskutierte, dessen Auto in einer Einfahrt vom Müllwagen blockiert wurde. Der Mann fuchtelte mit den Armen und schrie offensichtlich, was im Taxi nicht zu hören war. Der Schwarze verschränkte bloß die Arme und hörte zu.
    Das Schauspiel erinnerte Fanny an die Auseinandersetzungen zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater. Ihre Mutter brüllte, und ihr Vater stand da und kniff die Augen zusammen, weil er das Geschrei nicht ertrug. Fanny überlegte, wo ihr Vater in diesem Moment sein mochte, vielleicht in Hamburg, wo er mit Kaffee handelte, oder in Amerika, wo er herstammte.
    Ohne den Kopf zu bewegen, linste das Mädchen über den Rand der Kapuze zu dem Mann neben ihr. Süden lehnte hinter dem Beifahrersitz am Fenster und schien woanders zu sein. Beruhigt spielte Fanny mit ihrem Handy und dachte an Adrian und die Sachen, die er machte, und daran, dass dies garantiert das aufregendste Weihnachten ihres Lebens werden würde.
    Auch Süden dachte an Weihnachten, allerdings eher wie nebenbei.
    Am meisten beschäftigte ihn das widersprüchliche Verhalten des Mädchens, sein ständiges Reden einerseits und dann wieder dieses berechnende Verstummen, dazu seine offenkundige Nervosität, die im nächsten Augenblick in entspannte Lässigkeit umzuschlagen schien. Der einzige Grund, warum er Fanny mitgenommen hatte, war, dass er sie nicht allein mit ihren heimlichen Gedanken im Haus lassen wollte. Er wollte sehen, wie sie nachdachte und ihre Strategien entwickelte. Er wollte dabei sein, wenn sie einen Fehler machte oder sich überschätzte oder seine Nähe nicht mehr aushielt.
    Gleichzeitig dachte er an die Einladung seiner Chefin zu einem Weihnachtsessen. Seit Jahren verabredete sie sich am Heiligen Abend mit einer Freundin in einem thailändischen Restaurant, und sie hatte ihn gefragt, ob er mitkommen wolle. Wahrheitsgemäß hätte er sofort nein gesagt. Stattdessen bat er um »Bedenkzeit«, und Edith Liebergesell wusste, dass allein durch die Wortwahl seine Entscheidung längst gefallen war.
    Das stimmte nicht unbedingt, auch wenn ihn die Vorstellung, aus feiertagsbedingter Höflichkeit Konversation betreiben zu müssen und weniger Biere als gemocht zu trinken, im Vorhinein eher bedrückte.
    »Wieso sagen Sie eigentlich nie was?« Fanny hatte die rechte Seite ihrer Kapuze nach hinten geschoben. Süden bemerkte ihre geröteten Wangen.
    »Ich spreche schon. Du sagst ja auch nichts.«
    »Wollt Sie nicht stören.«
    »Du kannst du zu mir sagen.«
    »Hab deinen Vornamen vergessen.«
    »Tabor.«
    »Wieso sagst du nie was, Tabor?«
    »Erzähl mir etwas über deine Eltern, Fanny«, sagte Süden. »Und über dich und deine Freundschaft zu Adrian.«
    »Über meine Eltern darf ich nicht

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