Süden und die Schlüsselkinder
hinter unzähligen Fenstern die Lichter an.
Mit einer Zigarette in der Hand beobachtete Nora Wiese hinter der Gardine das Geschehen vor ihrem Haus. Die Tür öffnete sie erst, als zwei weitere Streifenwagen, ein Zivilfahrzeug und zwei Notarztwagen vorfuhren.
Auf die Frage eines Polizisten, wo ihre Tochter sei, erwiderte sie: »Im Keller.«
Später erinnerte sie sich nicht mehr an diese Antwort.
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16
D ie beiden bildeten ein kurioses Paar auf der Couch. Die Frau im Rollkragenpullover, dessen Farbe im Licht der Deckenlampe nicht weniger grau wirkte als ihr Gesicht, und das Mädchen im blauen Anorak und mit der roten Pudelmütze, beide auf der Polsterkante aufrecht nebeneinander, als lauschten sie gespannt einer Anhörung oder wären auf dem Sprung.
Fannys Blick fixierte den am Fenster stehenden Detektiv, während Hannah Richter unentwegt zum Bett blickte, das so unberührt aussah wie am Abend. Steinfeger hatte mit seiner Wildlederjacke breitbeinig auf einem Stuhl neben Süden Platz genommen. Süden hatte seine Daunenjacke anbehalten und nur Mütze und Schal abgenommen.
Der Nachtportier, ein bulliger Afrikaner mit bayerischem Akzent, hatte in Hannahs Zimmer angerufen, und sie war sofort drangegangen. Als sie Steinfeger mit einem Kuss begrüßte, sagte sie, sie würde seit Stunden auf ihn warten.
Fanny, die in dem Moment aufgewacht war, als Steinfeger in der Schwanthalerstraße einparkte, hatte sich zunächst geweigert mitzukommen. Als Süden ihr erklärte, er würde jetzt Adrian besuchen, gab sie verblüfft nach. Beim Betreten des Zimmers boxte sie ihm wütend in die Seite und setzte sich anschließend wortlos auf die Couch. Seitdem wartete sie auf eine Erklärung von ihm.
Auch Hannah Richter hätte gern den Grund für den nächtlichen Überfall erfahren. Nils Steinfeger dachte schon seit Mitternacht darüber nach, wie er den morgigen Tag im Baumarkt überstehen sollte. Wenn er dem Detektiv den Kopf zuwandte und ihn fragend ansah, bekam er nichts als ein unmerkliches Nicken und einen strengen Blick, der nicht ihm, sondern dem Mädchen galt.
Vom ersten Moment in seiner Wohnung hatte Steinfeger den Detektiv als seltsamen Gesellen empfunden, dessen zielstrebige Sturheit ihn andererseits auch beeindruckte. Jedenfalls hätte er nicht damit gerechnet, heute noch seine Geliebte zu treffen, vor allem nicht unter solchen Umständen.
»Frage, Süden«, sagte Steinfeger. »Würde es Ihnen was ausmachen, angesichts der fortgeschrittenen Stunde uns allen auf die Sprünge zu helfen? Was genau wollen wir hier? Müssten wir nicht zur Polizei gehen, damit das Mädchen seine Aussage machen kann? Immerhin hat der Typ sie gekidnappt.«
»Welcher Typ?«, sagte Hannah.
»Dein Mann«, sagte Steinfeger.
Hannah zuckte zusammen, und Fanny erschrak über die Bewegung.
»Hat er Sie vorher angerufen?« Aus Südens Mund klang die Frage vollkommen angemessen und gewöhnlich.
»Wie vorher?« Hannah sah die beiden Männer abwechselnd an, aber Süden war sich nicht sicher, ob sie sie tatsächlich wahrnahm. »Mich angerufen? Wegen der Entführung?«
Auch Steinfeger brachte die Frage ins Grübeln. Er sagte: »Was genau meinen Sie damit? Angerufen?«
»Ich meine damit, ob er sich gemeldet hat. Ob er Kontakt aufgenommen hat, Frau Richter.«
»Ja, aber doch …«
»Er hat Sie angerufen«, sagte Süden.
»Schon, ja. Aber ich wusste doch nicht, dass er ein Mädchen entführen will. Wie hätt ich das denn ahnen sollen?«
»Überhaupt nicht.«
»Er hat mich beschimpft. Er sagte, er kommt her, und dann fällt Weihnachten für mich aus. Hab ich zu ihm gesagt, wenn er herkommt, lass ich ihn von der Polizei einsperren. Er hat gesagt, ich würd noch ein Wunder erleben. Dann hat er aufgelegt.«
Süden sagte: »Welches Wunder er meinte, wissen Sie nicht.«
»Natürlich nicht.«
»Jetzt hat er sein Wunder erlebt«, sagte Steinfeger.
»Was für ein Wunder denn?« Hannah streifte das Mädchen mit einem unsicheren Blick.
»Fanny ist ihm entwischt, er wollte sie umbringen. Erzähl’s ihr, Fanny. Dein Mann wollte sie in der Isar ertränken, kannst du dir so was vorstellen? Dein Mann, der Ludwig. Kidnappt ein kleines Mädchen, weil er seinen Sohn wiederhaben will. Aber wo der ist, das weiß immer noch niemand.«
»Doch«, sagte Süden.
Die drei sahen ihn an, das Mädchen mit lauerndem Blick. »Jemand weiß, wo Adrian ist, und dieser Jemand ist hier im Zimmer.«
»Ich weiß gar nichts«, sagte Fanny sofort und stutzte. Süden hatte das
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