Süden und die Schlüsselkinder
rosafarbene Handy aus seiner Jackentasche genommen und tippte eine Nummer. »Was machen Sie da? Ich will mein Handy wiederhaben.«
Süden sagte: »Du darfst mich doch duzen.«
»Will ich aber nicht.«
Süden hörte, wie die Mailbox ansprang, und begann, eine SMS zu schreiben. Währenddessen tauschten Hannah Richter und Nils Steinfeger vertraute Blicke, sie brannten darauf, miteinander zu sprechen, aber sie trauten sich nicht.
Süden schickte die Nachricht ab. Die Antwort kam eine Minute später.
Ich bin bei deiner Mutter,
hatte er geschrieben.
Geht’s Dir gut, Adrian? Liebe Grüße: Süden.
get schon gut. mir is kalt. was war mit papa?
Süden hielt das Handy schräg, damit Steinfeger, der auf ihn herunterschaute, die Schrift nicht entziffern konnte.
Dein Papa hat Fanny entführt und geschlagen, sie ist ihm entwischt, sie ist sehr tapfer und schlau, sie ist auch bei Deiner Mama. Wir kommen jetzt zu Dir.
nein.
Damit hatte Süden nicht gerechnet. Er hatte gehofft, der Junge würde zögern, eine Ausflucht suchen, Ausreden erfinden, auf jeden Fall etwas schreiben, das den Kontakt aufrechterhielt. In Südens Augen stellte ein Nein eine verwirrende Reaktion dar. Warum schrieb Adrian nicht: Ihr wisst ja gar nicht, wo ich bin! Oder: Ihr findet mich ja doch nicht. Oder: Ich muss erst noch Sachen machen.
Unter den drängenden Blicken seiner Zuschauer tippte Süden:
Deine Mama …
In diesem Augenblick klingelte das Handy. Fanny zuckte zusammen, wie vorhin Hannah, und klemmte gespannt die Fäuste zwischen die Knie.
»Ja«, sagte Süden ins Telefon.
»Ines Hermann. Wo sind Sie?«
Einen Moment lang überlegte Süden, ob er der Leiterin des Zeno-Hauses die Wahrheit sagen sollte. Sie wartete seit einer Stunde auf einen Anruf von ihm und auf irgendeine Art von Erfolg bei der bezahlten Suche nach dem Ausreißer. Tatsächlich hatte er vorübergehend vergessen gehabt, sich zu melden.
»Im Hotel Daheim, bei Adrians Mutter.«
Wären Fanny und Steinfeger nicht dabei gewesen, hätte er vielleicht etwas anderes erzählt.
»Sein Vater liegt im Krankenhaus«, sagte Ines Hermann. »Er wurde von der Polizei angeschossen, als er versucht hat, in das Haus von Fannys Mutter einzudringen. Wie geht es Fanny?«
»Gut. Wir sind kurz davor, Adrian zu finden.« Absichtlich vermied er den Blickkontakt mit Fanny, die vor lauter Zuhören beinah das Luftholen vergaß.
»Was meinen Sie mit ›kurz davor‹? Wissen Sie, wo er ist, oder nicht? Wir haben fünf Polizisten im Haus, und alle wollen mit Ihnen sprechen, und zwar dringend. Die Kinder sind auch wach. Fannys Mutter rief schon zweimal an. Ich wär Ihnen sehr dankbar, wenn Sie endlich was Konkretes zu bieten hätten, das ich der Polizei sagen kann. Im schlimmsten Fall stehen morgen früh Reporter vor der Tür, dann krieg ich die größten Probleme mit meinen Vorgesetzten vom Jugendamt. Das alles würde ich gern vermeiden, Herr Süden.«
»Das verstehe ich.« Süden nahm das Handy vom Ohr und wandte sich an Fanny. »Wir machen uns jetzt auf den Weg, einverstanden?«
Das Mädchen wusste keine Antwort. In ihrem Kopf schossen die Gedanken sich gegenseitig ab, inzwischen hatte sie fast so viel Angst wie im Auto von Adrians Vater. Auf welchen Weg?, dachte sie. Und woher wusste der Detektiv, dass sie wusste, wo Adrian war? Und was war überhaupt los mit Adrian? Hat er überhaupt was zu essen bekommen, der Arme?
»In einer Stunde sind wir zurück«, sagte Süden ins Handy.
»Mit Adrian?«, fragte Ines Hermann.
»Vermutlich.«
»Das reicht mir nicht. Ich werde der Polizei sagen, sie soll zu Ihnen ins Hotel kommen, sie wissen sowieso über alles Bescheid, über Adrian, über Sie, wir dürfen die Dinge nicht länger verschweigen, die Situation wird immer bedrohlicher für uns, das müssen Sie einsehen.«
»Ich sehe das ein. Geben Sie mir noch eine Stunde Zeit. Sagen Sie der Polizei nicht, wo ich bin.«
»Kann ich kurz mit Fanny sprechen?«
Süden ging zur Couch und gab dem Mädchen das Handy.
»Hallo?«, sagte Fanny mit leiser Stimme.
»Hier ist die Ines, wie geht es dir? Bist du verletzt?«
»Nein, hat der Süden doch schon gesagt. Ich bin nur müde, ist nicht schlimm.«
»Du musst zurückkommen. Sag dem Herrn Süden, er soll dich sofort herbringen. Machst du das, Fanny?«
»Ja.« Sie gab Süden das Handy zurück.
»Wir kommen«, sagte er noch zu Ines Hermann.
Er beendete das Gespräch, machte einen Schritt auf die Tür zu, drehte sich zu den drei anderen um und setzte wortlos die
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