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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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unterbrochene SMS fort.
Deine Mama macht sich große Sorgen, sie möchte, dass du zu ihr kommst, sie würde Dich gern umarmen.
    Dreißig Sekunden später:
glaup ich nich.
    Süden schrieb:
Ich lüge Dich nicht an.
Er wusste nicht, ob er log, er sagte: »Würden Sie Ihren Sohn gern umarmen, Frau Richter?«
    Ihre Augen waren ein einziges Erstaunen in Blau. »Wie soll ich denn meinen Sohn umarmen? Der ist nicht hier. Sind Sie betrunken?«
    »Würden Sie ihn gern umarmen, wenn er hier wäre?«
     
    Auf der Straße hupte ein Auto, zwei laute Männerstimmen hallten zwischen den Häusern. Dann drang, wie vorher, das schneegedämpfte Rauschen des Verkehrs durchs Fenster. Im Hotel war ab und zu eine Toilettenspülung zu hören, sonst kein Laut – bis auf das leise Schaben von Hannahs Fingernägeln über das Polster, auf dem sie saß. Süden wartete auf ihre Antwort.
    Inzwischen hatte Adrian wieder geschrieben.
    du lügst, meine mama umamt mich nie, mein papa auch nich, nimand umamt mich.
    Ich werde Dich umarmen,
schrieb Süden.
    »Ich find, Sie sollten jetzt gehen und mich schlafen lassen, ich hab die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Morgen hab ich einen harten Arbeitstag, stimmt’s, Nils?«
    Eine Antwort fiel Steinfeger nicht ein, dafür sagte Süden: »Wiederholen Sie diese Bemerkung, Frau Richter, jedes einzelne Wort.«
    »Was soll ich?«
    »Wiederholen Sie Ihren Wunsch.«
    »Wollen Sie mich verarschen?«
    »Ich kann das nicht«, sagte Süden. »Ich würde es tun, wenn ich es könnte. Ich würde Sie verarschen, Frau Richter, aber nicht, weil ich mich lustig machen möchte, sondern weil ich nicht weiß, wohin mit meinem Abscheu.«
    Sie setzte an, etwas zu sagen, vielleicht zuckte auch nur ihr Mund. Süden ignorierte ihre Reaktion.
    »Sie bringen mich dazu zu reden, das gefällt mir nicht. Aber es ist spät, und Fanny und ich wollen noch Ihren Sohn besuchen und mit ihm zusammen sein, also hören Sie mir zu. Sie sind von zu Hause ausgezogen, Sie behaupten, Sie müssen sich vor Ihrem gewalttätigen Mann schützen, das mag sein. Vor allem wollen Sie Ihre Ruhe haben, Ihr Mann ist Ihnen so lästig wie Ihr Sohn und Ihr Leben. Das geht mich nichts an. Ich werde dafür bezahlt, Adrian wiederzufinden, und in meinem Honorar ist Kompost mit inbegriffen.
    Sie können also einfach weiterreden, werfen Sie Ihren Müll ganz entspannt, wie Ihr Mann sagen würde, aus sich raus, ich schichte ihn zusammen und entsorge ihn.
    Und zerbrechen Sie sich nicht länger den Kopf wegen Ihres Sohnes, Ihr Sohn existiert für Sie nicht mehr. Er wird in einer neuen Familie aufwachsen. Ihr Mann wird vermutlich eine Weile ins Gefängnis kommen, das braucht Sie nicht zu kümmern. Ihr Leben wird sich bald lohnen, Herr Steinfeger wartet auf Sie, Sie können den Heiligen Abend mit ihm verbringen und an Silvester auf das neue Jahr anstoßen. Das Jahr wird groß, niemand wird Sie mehr belästigen, höchstens die Kunden an Ihrer Kasse im Baumarkt, denen entkommen Sie nicht, außer Sie kündigen den Job.
    Gerade hat Ihr Sohn wieder eine SMS geschickt: ›dan kom‹. Ein paar Buchstaben hat er ausgelassen, wie es seine Art ist. ›Dann komm‹. Er meint nicht Sie, keine Sorge. In fünf Minuten haben Sie Ihr Zimmer für sich allein, Frau Richter. Vorher gehen Fanny und ich kurz vor die Tür, weil sie mir ein Geheimnis anvertrauen möchte, das sonst niemand hören darf.«
    Er legte die linke Hand auf die Klinke und wandte sich noch einmal an die Frau. »Heuer an Weihnachten bekommen Sie die Freiheit geschenkt. Ist das nicht wundervoll?«
    Er öffnete die Tür zum dunklen Flur. »Komm, Fanny, du bist an der Reihe.«
    Das Mädchen hatte die ganze Zeit wie paralysiert dagesessen.
    Und als hätte Süden ein lang verabredetes Stichwort genannt, sprang sie jetzt auf und stapfte mit den zu großen Fellstiefeln durchs Zimmer.
    Über Hannahs Gesicht liefen Tränen, die Süden für nichts als Hassschweiß hielt.

[home]
    17
    I m Flur hing der Geruch nach Seife und nassen Teppichen. Vor der Treppe brannte ein weißes Licht, das schäbige Schatten warf. Süden und das Mädchen standen nebeneinander an die Wand gelehnt, ein paar Meter von der Tür zu Hannahs Zimmer entfernt. Gedämpfte Stimmen und Musik aus einem Fernseher im Erdgeschoss. An der Wand hingen gerahmte Bilder von Münchner Stadtansichten in Schwarzweiß.
    Nach einem langen Schweigen sagte Fanny: »Wird Adis Vater sterben?«
    »Nein.«
    »Okay.«
    »Wir wollen so leise wie möglich sprechen, Fanny, so, dass wir uns

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