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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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gerade noch verstehen.«
    »Wieso denn?«
    »Wegen deinem Geheimnis.«
    Das Mädchen warf Süden einen Blick zu und faltete dann ihre Hände vor dem Bauch, wie er. Sie trug die rote Pudelmütze und den gelben Schal und die braunen großen Handschuhe und machte wieder einen munteren Eindruck. »Was hat der Adi dir geschrieben?«
    »Ich soll zu ihm kommen.«
    »Glaub ich nicht.«
    Süden zeigte ihr die Nachricht, auch jene, die sie sich vorher geschrieben hatten. »Er mag nicht mehr allein sein.«
    Ohne eine Reaktion zu zeigen, kippte Fanny langsam nach links, bis ihr Arm und ihre Schulter die schwarze Daunenjacke des Detektivs berührten. Und so blieb sie, bis sie sich wieder auf den Weg zurück ins Zimmer machten.
    Nach der eisigen Nähe, die Süden in den vergangenen Stunden mit einigen Nachtgestalten hatte teilen müssen, löste der sanfte Druck des schmächtigen Körpers eine unverhoffte Freude in ihm aus. »Du darfst mir dein Geheimnis natürlich nicht laut sagen«, flüsterte er.
    »Was soll ich dann tun?« Ihre Stimme war wie ein Fiepen.
    »Ich weiß noch nicht.«
    Sie schwiegen.
    Hinter der Tür schräg gegenüber glaubte Süden ein Scharren zu hören, als schleiche jemand auf Zehenspitzen, um zu horchen. Wenn er sich täuschte, was das Mädchen betraf, würde er sein Honorar aus eigener Tasche bezahlen, dachte er.
    Wenn er sich täuschte, würde er den Rest des Winters in seinem Zimmer verbringen und nur noch nachts nach draußen gehen, um wieder sehen und hören zu lernen.
    Wenn er sich täuschte, würde er sich noch einmal vor Hannah Richter hinstellen und noch ein paar Dinge zu ihr sagen, für die sie ihn anzeigen könnte, wegen Beleidigung oder versuchter Körperverletzung.
    »Du könntest mir jeden einzelnen Buchstaben ins Ohr sagen.« Er sah das Mädchen nicht an. »Ich beuge mich zu dir herunter, und du fängst an.«
    Nach einer Zeitlang sagte Fanny: »Ich verrat den Adi aber nicht.«
    »Dann sagst du kein Wort. Dann zeigst du mir mit den Händen, wo er ist. Du verrätst kein einziges Wort. Und wenn ich nicht draufkomme, bin ich selber schuld. Du brauchst nichts zu erklären. Fang an.«
    »Weiß nicht.«
    »Soll ich Adrian fragen, ob du das darfst?«
    Fanny nickte. Süden hob die rechte Hand, in der er noch immer das Gerät festhielt, und schrieb:
Darf Fanny mir Dein Versteck mit den Händen zeigen? Sie hat mir nichts verraten.
    Und Adrian schrieb:
aber nur dir.
    Süden antwortete:
Danke.
    Nachdem er dem Mädchen die Nachrichten gezeigt hatte, steckte er das Handy ein.
    An ihn gelehnt, hob Fanny die Hände. Sie spielte mit den im zu großen Handschuh steckenden Fingern, als zeige sie eine spazieren gehende Figur. Sie senkte die Hand, und die Figur ging nach unten. Dann bildete sie mit beiden Händen einen rechteckigen Kasten nach, danach ein senkrecht stehendes Quadrat.
    Süden sah ihr zu, ohne den Kopf zu bewegen. Sie zeigte Gegenstände an, die er nicht identifizieren konnte.
    Keiner von beiden sprach ein Wort.
    Fanny legte die Hände aneinander wie zum Gebet und hielt sie schräg, als Zeichen von Schlaf wahrscheinlich. Süden hob den Daumen, als hätte er jede Andeutung begriffen. Sie baute in der Luft eine Art Haus und spazierte wieder mit Zeige- und Mittelfinger eine Schräge hinunter.
    Süden riskierte eine Abweichung vom Spiel: Mit dem rechten Zeigefinger schrieb er die Buchstaben W und O – obwohl er den Arm bewegte, blieb das Mädchen an ihn gelehnt – und faltete die Hände wieder. Fanny tat dasselbe und rührte sich nicht mehr, bis sie langsam den Arm hob.
    Sie hielt inne, streckte den Zeigefinger aus, zögerte und formte schließlich einen Buchstaben, den Süden auf Anhieb erkannte. Zur Sicherheit malte er denselben Buchstaben in die Luft.
    Sie sahen sich an.
    Er nickte, Fanny lehnte den Kopf an seinen Arm.
    Jetzt schien er sicher zu wissen, wo er den Jungen finden würde.
     
    Stimmte das? Und wenn er Adrian dort fand, wo Fannys Fingergeschichte endete, hätte er ihn dann nicht längst finden müssen? Was hatte er übersehen? Warum hatte er es übersehen?
    Beinah hätte er das Mädchen aufgefordert, ihr Luftschauspiel noch einmal aufzuführen. Eigentlich wollte er ihr sagen, dass er ihr nicht glaube, dass sie ihn anlüge, wie schon die ganze Zeit, dass sie ihr Spiel einfach fortführte, so lange, bis Adrian ihr das Zeichen zum Aufhören gab.
    War das denkbar? Er dachte es und wusste gleichzeitig nicht, was er denken sollte. Wieder sah er den Buchstaben, den Fanny vor seinen Augen in

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