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Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Titel: Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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sagte er jetzt laut. Der Klang seiner Stimme löste die Spannung in ihm. Und er klatschte in die Hände. Von einem Moment auf den andern schlug seine Stimmung um. Ohne dass er hätte sagen können, was Besonderes geschehen war in den zwei, drei Minuten. Stumm verharrte er an der Tür des Hotelzimmers.
    Er knipste das Licht an.
    Das Zimmer war winzig. Dunkelbrauner Teppichboden. Ausgebleichte rote Vorhänge. Graue Gardinen. Schmales Bett ohne Tagesdecke. Nachtkästchen. Der Fernseher war unterhalb der Decke ins Eck montiert. Wie in einem Krankenzimmer. Rechts eine Tür. Dahinter Dusche und Toilette. Gelbes Licht. Auf einem rechteckigen Tischchen lag ein Fernsehmagazin.
    Schilff musste an eine Absteige in Texas denken, in der er mit Willie Nelson verabredet gewesen war. Der dann nicht kam. Das verzeih ich dir nie.
    Neben der Illustrierten lag die Fernbedienung. Er schaltete den Fernseher ein. Wie er es gewohnt war, zappte er durch alle Programme. Und wunderte sich darüber, dass es nur neun waren.
    Er ging ins Bad. Und sein Blick fiel auf den Koffer.
    Er bekam einen Schluckreiz, der ihn zwang, jeden Tropfen Spucke hinunterzuwürgen. Er wollte den Reißverschluss seiner Jacke öffnen. Aber der klemmte. Sofort hörte er auf, daran herumzunesteln.
    Er riss die Zimmertür auf. Rannte zur Rezeption hinunter. Ließ sich von dem Inder, der Dienst hatte, ein Glas voll Eiswürfel geben. Und steckte sich noch auf dem Weg zurück ins Zimmer zwei Stück in den Mund.
    Er kaute, lutschte, schluckte. Und atmete mit weit aufgerissenem Mund. Und er musste an die Frau denken, die am Tresen gekeucht hatte. Und er spürte die Kälte am Gaumen und im Magen. Und nahm einen dritten Eiswürfel in den Mund. Wasser lief ihm übers Kinn und den Hals hinunter.
    Dann sah er die kleine Pfütze zwischen seinen Schuhen. Wie lange hatte er so dagestanden? Den Kopf gebeugt. Seine Jacke übersät von Rinnsalen. Das geschmolzene Eis musste ihm aus dem Mund getropft sein. War mir nicht aufgefallen.
    An die vergangenen fünf Minuten konnte sich Niklas Schilff nicht mehr erinnern. War er die ganze Zeit einfach dagestanden? Sabbernd?
    »Penner«, sagte er. Wischte sich mit der flachen Hand übers Gesicht. Und hörte das Kratzen der Bartstoppeln.
    Wie spät war es? Er hob den Arm. Und schaute verwirrt sein Handgelenk an. Seine Uhr war verschwunden. Die hab ich doch vorhin gehabt. Ich hab doch im Taxi auf die Uhr gesehen. Das kann doch nicht sein.
    Getrieben von einer Erregung, die ihn den Schluckreiz und die Trunkenheit vergessen ließ, fing er an zu suchen. Mehrmals schob er den Koffer hin und her. Er dachte, vielleicht hatte er sie draufgelegt, und sie war runtergefallen. Warum soll ich sie überhaupt abgemacht haben? Aber ich muss sie abgemacht haben.
    Sinnlos hob er die Illustrierte hoch. Tastete das Bett ab. Beugte sich hinter die Kloschüssel. Durchsuchte die Taschen seiner Jacke und Hose. Immer wieder von vorn. Drehte sich im Kreis. Öffnete sogar die Zimmertür und sah im Flur nach. Er krallte die Finger um die abgeschabte Klinke.
    Wie ein irrer Boxer trommelte Schilff gegen die geschlossene Tür. Trat mit den Füßen zu. Schlug seine Knöchel an das Holz. Bis sie bluteten. Und dieser Anblick machte ihn noch wütender.
    Er schlug mit aller Kraft zu. Er spürte nichts. Der Schmerz erreichte ihn nicht. Er wunderte sich ein wenig darüber. Aber nicht lange. Er musste zuschlagen. Fester zuschlagen. Ich hau dich kaputt. I kill you I kill you I kill you I kill you.
    »Aufhören«, rief jemand.
    Er hörte nicht auf. Jetzt erst recht nicht. Ich schlag dich tot.
    »Ich schlag dich tot«, schrie er die Tür an. Überall rote Spritzer. Rote Schlieren bis zum Teppich. Knöchel und Knorpel machten dumpfe Geräusche. Dieser Rhythmus ließ die Tür vibrieren.
    »Aufhören.«
    »Ja«, schrie Schilff. »Ich hör auf, hörst du das nicht? Ich hör auf. So. I kill you.« Er rülpste gegen die Tür.
    Darin war er Meister. Sie schlossen früher Wetten darüber ab, wer es am besten konnte. Am lautesten. Am längsten. Wie oft hintereinander. Für den Kandidaten wurde auf der letzten Bank des Schulbusses ein Platz frei gemacht. Alle sahen zu. Manche Jungs holten tief Luft. Und pressten so stark, dass sie sich übergeben mussten. Das waren die Deppen. Wie der Carlsen Lucky. Oder Hendrix, der, weil er ein Mischling war und Haare hatte wie Jimmy Hendrix, glaubte, die Mädchen würden bei ihm Schlange stehen. Aber die Mädchen mochten ihn nicht. Er war ihnen zu schwarz. Und

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