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Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Titel: Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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den Kopf so tief, dass ihre Stirn die Tischkante berührte. Schilff trank die Dose leer.
    Jetzt war es vollkommen still.
    Schilff legte den Kopf in den Nacken. Und sah nichts. Das gleiche Nichts wie in jener Nacht, als er mit seinem Vater hier saß. Und es war genauso still. Und er war sich sicher, auch damals hatte eine Krähe geschrien. Und dann machten sie im selben Moment dieselbe Geste. Sie legten den Kopf in den Nacken und sahen zur Decke hinauf.
    Ariane saß vornübergebeugt da, die Arme auf dem Tisch, und ihre Worte landeten ungehört unter dem Tisch: »Ich bin froh, dass er wieder da ist. Ich hab ihn so oft vermisst.«
    »Ich muss zurück«, sagte Schilff und zerquetschte die Dose.

    »Ich hab Angst.«
    »Anders geht's nicht«, sagte er.
    »Sie können nicht anders. Wie der Elch.«
    Sie lag in der Badewanne. Er fesselte ihre Beine und Hände.
    »Was für ein Elch?«
    »Ich hab Angst hier allein.«
    »Du kannst aufstehen und in den Spiegel schauen.«
    Stöhnend richtete sie den Oberkörper auf. »Können Sie nicht hierbleiben?«
    »Du sollst mich nicht siezen.«
    »Sie können doch auf der Couch schlafen.«
    »Bin ich eine Scheißkatze?« Er prüfte noch einmal die Knoten. »Wirst du hier rumbrüllen?«
    »Nein.«
    »Ich bin mir nicht sicher.«
    »Ich schrei nicht«, sagte sie. »Bitte nicht knebeln.«
    Er betrachtete sie.
    »Ich hab Angst«, sagte Ariane leise.
    Er nickte. Ging nach draußen. Verriegelte die Tür. Schob den Sessel davor.
    Sie zählte bis zweihundertfünfzig. Dann schrie sie. So laut sie konnte. Zerrte an den Schnüren. Holte Luft. Schrie. Holte Luft. Schrie lauter. Holte schneller Luft. Verschluckte sich. Schrie weiter. Spuckte aus. Riss mit aller Macht an den Fesseln. Brüllte gegen die schrägen Wände. Keuchte. Spucke lief ihr aus dem Mund. Ihre Stimme überschlug sich.
    Und mit einem letzten, lauten Schrei sackte sie in die Wanne. Und hatte keine Kraft mehr.
    Schwarze Stille. Als läge das Zimmer am Ende des Weltalls.

    Das Auto stellte er vor einem Hotel in der Goethestraße ab. Ging hinein und fragte den Mann an der Rezeption nach Knut Bellnik.
    »Wohnt hier nicht.«
    »Ich bring ihm sein Auto.«
    Der Mann im weißen Hemd mit den rot unterlaufenen Augen und den kurzen abstehenden Haaren erinnerte ihn an seinen Vater, wenn dieser nachts nach Hause kam. Todmüde und nach Bier und Schweiß und Holz roch.
    Der Mann telefonierte.
    »Erster Stock, Zimmer hunderteins«, sagte er anschließend.
    Ein dicker Mann Ende fünfzig öffnete oben die Tür.
    »Danke«, sagte Schilff und gab ihm den Schlüssel und fünfzig Mark. »Der Tank ist voll.«
    »Das hoff ich.«
    Im Zimmer waren noch andere Männer, die Schilff nicht sehen, nur hören konnte. Sie sprachen über Fußball. Anscheinend spielten sie Karten. Jemand ließ den Stapel in den Händen schnalzen.
    Vor dem Hotel wollte Schilff auf die Uhr sehen. Er hatte vergessen, dass er seine Uhr verloren hatte. Wo? In Arianes Wohnung? Dann hätten die Bullen sie gefunden. Wo dann? Er musste sich endlich eine neue kaufen.
    Er ging bis zur Bayerstraße. Und schaute hinüber zum Bahnhof. Die große Uhr über dem Eingang zeigte zwei Uhr zehn. Vor dem Postamt bemerkte er ein paar taumelnde Gestalten. Er spuckte aus.
    Die Bar neben der »Pension Odetta« hatte noch geöffnet. Einen kurzen Moment überlegte er, ob er noch ein Bier trinken sollte. Er hatte nicht die geringste Lust darauf. Dann dachte er an die Bedienung, die ihn das letzte Mal mit ihrer Arroganz genervt hatte. Und er zog die Glastür auf und stieg mit lauten Schritten die beleuchtete Treppe hinunter.

    »Ich möchte dich was fragen.«
    »Was?«
    Sie lagen nebeneinander auf der schwarzen, warmen Wolldecke, Ariane auf dem Rücken, Ben auf dem Bauch.
    »Warst du glücklich … unterwegs?«, sagte sie.
    »Manchmal«, sagte er.
    Sie schwiegen.
    »Und du?«, fragte er.
    Ariane schwieg.
    »Gehst du wieder weg?« Sie drehte sich auf die Seite und sah ihn an. Er rieb mit dem Kinn über die Wolldecke.
    »Meinen ersten Freund hab ich zu einem Gummi gezwungen«, sagte Ariane. »Er ist bestimmt heute noch sauer deswegen.«
    »Wie hieß dein erster Freund?«
    »Gabriel.«
    »Du hast gleich mit einem Erzengel angefangen?«
    »Ja«, sagte sie und wischte sich über den Bauch. »Du bist nicht richtig in mir gekommen.«
    »Ich bin richtig gekommen, meine Schöne.«
    »Aber nicht in mir«, sagte sie. Und rieb ihren nassen Bauch.
    »Auch«, sagte er und fuhr mit dem Finger über den leichten Höcker ihrer

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