Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)
Nase.
Ariane küsste seinen Finger und legte die Hand auf seinen Hintern. »Du hast immer noch eine tolle Figur.«
»Du auch.«
»Lüg mich nicht an. Ich hab zugenommen.«
»Du darfst das, du bist jetzt Wirtin«, sagte er.
Weckt mich denn niemand?
22
A uf Bitten von Iris Frost gab es in der Anzeige keinen Hinweis auf Arianes Vergangenheit als Prostituierte. Die Kommissare im Dezernat 11 hatten lange darüber diskutiert und waren zu dem Ergebnis gekommen, dass es klüger sei, einige Informationen zurückzuhalten. Und abzuwarten, wer sich auf die Nachricht vom Verschwinden der Frau hin meldete. In den Zeitungen erschienen ein- bis zweispaltige Artikel mit einem Foto von Ariane. Nüchterne Berichte. Nicht aufsehenerregend. Im Laufe dieses Jahres waren bereits rund eintausendfünfhundert Menschen als vermisst gemeldet und etwa ein Dutzend von ihnen mit Hilfe der Medien gesucht worden.
Noch bevor Volker Thon seinen Montagsmonolog über Teamarbeit und effektives Handeln begann, hatte seine Mitarbeiterin Freya Epp elf Anrufer am Apparat, die Ariane in den letzten Tagen gesehen haben wollten. Bei acht von ihnen stellte sich nach der Befragung durch die Kommissare Weber und Heuer heraus, dass sie sich geirrt hatten. Die übrigen drei, deren Aussagen Süden für verwertbar hielt, nachdem er Freyas Notizen gelesen hatte, waren in die Bayerstraße bestellt worden und sollten im Abstand von jeweils einer Stunde eintreffen.
»… Und es ist nicht in meinem Sinn, Kollegen aus anderen Abteilungen mitten in der Nacht für unsere Abteilung einzuspannen oder ohne Rücksprache Vernehmungen von Personen durchzuführen …«
An dieser Stelle mussten Sonja Feyerabend und Tabor Süden den Raum verlassen. Der erste Zeuge wartete nebenan. Thon nestelte an seinem Halstuch, blickte beleidigt zur Tür und redete dann weiter zu seinen restlichen sieben Zuhörern.
Der Mann, der vor Sonja und Süden saß, war bemüht, entspannt zu wirken. Dass er ständig die Daumen bewegte und sich die Lippen leckte, merkte er offensichtlich nicht.
»Ich hab lang überlegt«, sagte er mehrmals. »Ich bin erschrocken, als ich das Bild gesehen hab, ich hab mir sofort Sorgen gemacht …«
»Warum, Herr Henning?«, fragte Sonja.
»Sie war merkwürdig, sie hat … sie hat irgendwas vor mir verborgen. Nicht dass mich ihr Leben was angeht. Außerdem war sie es, die mich angerufen hat, ich hab sie nicht angerufen, ich hab sie fast vergessen gehabt.«
»Sie kannten sie als Prostituierte«, sagte Süden.
Eberhard Henning sah vor sich hin. Dann fiel sein Blick auf seine Hände, und er hörte mit dem Daumenschlagen auf.
»Ja«, sagte er. Welchen Grund hatte er, das zu leugnen? »Ja, ja, Jenny … sie ist mir empfohlen worden damals, ich weiß nicht mehr von wem, williges Mädchen …«
Diese Bemerkung war ihm etwas unangenehm.
»Können Sie das erklären?«, fragte Sonja.
»Sie hat alles gemacht … alles, was man sich nur so wünschte.«
»Auch jetzt?«, fragte Süden.
»Nein, wir haben … wir haben normal miteinander geschlafen, normal … Natürlich mit Kondom. Ich nehm immer ein Kondom, so einer bin ich nicht. Wir haben was getrunken, ich bin kürzlich neunundfünfzig geworden …«
»Glückwunsch«, sagte Süden heiter. Als wäre er überglücklich, bis dahin noch fünfzehn Jahre Zeit zu haben.
»Ja, danke … Sie war merkwürdig. Schon dass sie überhaupt aufgetaucht ist nach so langer Zeit. Sie hat angerufen … sie wollte unbedingt mit mir schlafen. Dann … dann schien es ihr nicht so viel Spaß zu machen … sie hat sich nicht gewehrt, ich hab … sie war entspannt … fast wie früher … Sie blieb über Nacht … Ich … ich muss Ihnen was gestehen …«
Er machte eine Pause. Süden und Sonja schwiegen. Und Henning fing wieder an, mit den Daumen zu spielen.
»Ich hab sie gefragt, ob sie mich heiraten will. Ganz ernst. Ich wollt sie heiraten. Ich hab so über mein Leben nachgedacht, nächstes Jahr werd ich sechzig. Ich bin Steuerberater, ich verdien ganz gut … Ich hab sie gefragt. Sie hat natürlich nein gesagt.«
»Warum natürlich?«, fragte Sonja.
»Würden Sie einen Mann heiraten, der nie was anderes von Ihnen wollte als Sex?«
»Warum haben Sie sie dann gefragt?«
»Es war … Sie wirkte so bedrückt, so allein … Und ich dachte … Unsinn, natürlich, Gott sei Dank hat sie nein gesagt …«
»Ariane hat keine Andeutungen gemacht, was sie bedrückt«, sagte Süden.
»Ariane? Ja, sie heißt Ariane.
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