Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Titel: Südlich der Grenze, westlich der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
sehen und mich mit ihnen zu unterhalten. Natürlich hatte die Begegnung mit früheren Freunden auch für mich etwas Nostalgisches. Sie schienen sich zu freuen, mich wiederzusehen. Doch eigentlich waren mir die Dinge, über die wir sprachen, völlig gleichgültig. Es interessierte mich nicht, was aus unserer Heimatstadt oder irgendwelchen Mitschülern geworden war. Ich hatte mich inzwischen räumlich und zeitlich weit von diesen Dingen entfernt. Außerdem erinnerten mich diese Gespräche unweigerlich an Izumi. Sobald die Rede auf unseren Ort kam, sah ich Izumi vor mir, die nun allein und von allen verlassen in dem kleinen Mietshaus in Toyohashi lebte. »Sie ist nicht mehr attraktiv«, hatte mein Klassenkamerad gesagt. »Die Kinder haben Angst vor ihr.« Ständig hallten diese beiden Sätze in mir wider. Und Izumi hatte mir bis heute nicht vergeben.
    Nachdem der Artikel über mich erschienen war, bereute ich eine Zeit lang ernsthaft, dass ich mich dazu hatte hinreißen lassen. Ich hatte eigentlich bloß etwas Werbung für die Bar machen wollen. Nun fürchtete ich, dass Izumi ihn las. Was würde sie empfinden, wenn sie las, dass ich ein von der Vergangenheit unbeeinträchtigtes und unbeschadetes Leben führte?
    Doch nach einem Monat hörten die Besuche auf. Das war das Gute an Zeitschriften. Im einen Augenblick war man berühmt und im nächsten bereits vergessen. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Zumindest hatte Izumi sich nicht gemeldet. Bestimmt las sie keine Zeitschriften wie Brutus.
    Anderthalb Monate vergingen, und ich hatte den Artikel schon fast vergessen, als die letzte Bekannte von früher auftauchte. Shimamoto.
    Es war an einem Montagabend Anfang November. Sie saß allein an der Bar in meinem Jazzclub Robin’s Nest (benannt nach einem meiner alten Lieblingsstücke) und trank einen Daiquiri. Ich saß drei Plätze weiter, bemerkte sie jedoch nicht. Etwas anderes, als dass eine schöne Unbekannte die Bar betrat, fiel mir nicht auf. Wäre sie mir dort vorher schon einmal begegnet, hätte ich mich zweifellos an sie erinnert, so auffällig war sie. Ich vermutete, dass sie auf jemanden wartete. Natürlich gab es auch Frauen, die allein in die Bar kamen. Meist hofften sie, von jemandem angesprochen zu werden. In der Regel sah man es ihnen an. Doch wirklich schöne Frauen kamen erfahrungsgemäß nie allein. Solche Frauen hatten keinen Spaß daran, von Männern angesprochen zu werden. Es war ihnen nur lästig.
    Daher schenkte ich der Frau keine Aufmerksamkeit. Am Anfang schaute ich kurz zu ihr hinüber und warf dann nur noch hin und wieder einen Blick auf sie. Sie war dezent geschminkt und elegant gekleidet. Sie trug eine beige Strickjacke aus Kaschmirwolle über einem blauen Seidenkleid. Die Jacke war zart wie die Haut einer Zwiebel. Auf der Bar lag eine Tasche, die farblich genau auf ihr Kleid abgestimmt war. Wie alt sie wohl war? Sie schien genau im richtigen Alter zu sein.
    Sie war von atemraubender Schönheit, sah aber nicht aus wie eine Schauspielerin oder ein Model. Auch solche Frauen kamen häufig in meine Bars, doch sie waren sich stets der allgemeinen Aufmerksamkeit bewusst, und das merkte man ihnen auch an. Bei dieser Frau war das anders. Sie bewegte sich ganz selbstverständlich und entspannt, wirkte völlig im Einklang mit ihrer Umgebung. Sie saß, das Kinn in eine Hand gestützt, an der Bar und lauschte dem Klaviertrio. Dabei trank sie langsam ihren Cocktail, als würde sie einen schönen Satz genussvoll auf sich wirken lassen. Hin und wieder sah sie in meine Richtung. Mehrmals spürte ich diese Blicke ganz deutlich. Dennoch war ich überzeugt, dass sie nicht mich ansah.
    Wie üblich trug ich einen Anzug von Luciano Soprani. Krawatte und Hemd waren von Armani, die Schuhe von Rossetti. Nicht, dass ich mir besonders viel aus Kleidung machte. Im Grunde fand ich es albern, mehr Geld als nötig dafür auszugeben. Im normalen Leben reichten Jeans und Pullover völlig aus. Aber ich hatte meine eigene kleine Philosophie. Der Geschäftsführer eines Lokals sollte nach Möglichkeit die Kleidung tragen, die er an seiner Kundschaft zu sehen wünschte. Auf diese Weise spornte man sowohl die Gäste als auch die Angestellten an. Daher trug ich in meinen Bars immer ganz bewusst einen teuren Anzug und eine Krawatte.
    Während ich einen der Cocktails kostete, behielt ich die Gäste im Auge und lauschte dem Klaviertrio. Anfangs war es noch ziemlich voll, aber als es nach neun Uhr heftig zu regnen anfing, leerte die Bar sich

Weitere Kostenlose Bücher