Südlich der Grenze, westlich der Sonne
Oder sie hätte zumindest ein paar erklärende Worte hinzugefügt.
Ich dachte an Izumis Cousine, an ihre Wohnung und an ihren Körper. An den leidenschaftlichen Sex, den wir gehabt hatten. Was einst so lebendig gewesen war, existierte nun nicht mehr, war vergangen wie Rauch im Wind. Ich wusste nicht, woran die Cousine gestorben war. Sechsunddreißig ist kein Alter, in dem man eines natürlichen Todes stirbt. Sie hatte denselben Familiennamen wie früher. Entweder war sie nicht verheiratet gewesen oder bereits geschieden.
Wie es wirklich um Izumi stand, erfuhr ich von einem früheren Klassenkameraden. Er hatte ein Foto von mir in der Zeitschrift Brutus gesehen, die in einer ihrer Ausgaben über die Bars in Tokio berichtet hatte. Dort hatte er gelesen, dass ich zwei Lokale in Aoyama führte. Eines Abends sprach er mich an der Bar an. »Na, wie geht’s? Lange nicht gesehen.« Er war nicht eigens wegen mir gekommen, sondern zufällig mit ein paar Kollegen unterwegs.
»Ich war schon so oft hier«, sagte er. »Mein Büro ist ganz in der Nähe. Aber ich hatte keine Ahnung, dass der Laden dir gehört. Die Welt ist klein.«
Ich hatte in der Oberschule eher zu den Außenseitern gezählt, während er ein Klassensprecher-Typ gewesen war, sportlich und gut in der Schule, angenehm im Umgang, nicht aufdringlich, sympathisch eben. Er hatte Fußball gespielt und war immer recht kräftig gewesen, doch inzwischen hatte er ziemlich zugenommen. Er hatte ein Doppelkinn, und sein dreiteiliger dunkelblauer Anzug schien aus allen Nähten zu platzen. Das kam von den vielen Empfängen und Geschäftsessen, wie er sagte. »Das hat man davon, wenn man in einem Handelsunternehmen arbeitet. Jede Menge Überstunden, ständig muss man mit Kunden essen gehen und wird an andere Orte versetzt. Wenn du dein Soll nicht erfüllst, treten sie dir in den Hintern, wenn du es erfüllst, heben sie es sofort an. Das ist kein Job für anständige Menschen.« Seine Firma lag in Aoyama-itchome, und meine Bar war von dort gut zu Fuß zu erreichen.
Wir unterhielten uns, wie ehemalige Klassenkameraden es tun, wenn sie sich achtzehn Jahre lang nicht gesehen haben. Beruf, Ehe, wie viele Kinder, wen man wo noch getroffen hatte. In diesem Zusammenhang erwähnte er Izumi.
»Du warst doch damals immer mit einem Mädchen zusammen. Sie hieß Ohara oder so.«
»Izumi Ohara«, sagte ich.
»Ja, stimmt«, sagte er. »Izumi Ohara. Die habe ich vor Kurzem gesehen.«
»In Tokio?«, fragte ich erstaunt.
»Nein, in Toyohashi.«
»In Toyohashi?« Mein Erstaunen wuchs. »In der Präfektur Aichi?«
»Ja, genau.«
»Das verstehe ich nicht. Wieso in Toyohashi? Was machte sie denn dort?«, fragte ich in einem wahrscheinlich etwas erschrockenen und scharfen Ton.
»Keine Ahnung. Jedenfalls habe ich sie dort gesehen«, sagte er. »Es war nichts Besonderes. Vielleicht war sie es ja auch gar nicht.«
Er bestellte noch einen Wild Turkey mit Eis. Ich trank einen Wodka-Gimlet.
»Macht nichts, erzähl es mir trotzdem.«
»Eigentlich war das schon alles.« Er zögerte. »Es war, wie gesagt, kein besonderes Erlebnis, aber manchmal ist mir, als wäre es gar nicht wirklich passiert, ganz seltsam. Als hätte ich nur einen sehr realistischen Traum gehabt. Ich kann es nicht gut beschreiben.«
»Aber es ist wirklich passiert?«, fragte ich.
»Ja, definitiv«, sagte er.
»Ich würde die Geschichte gern hören.«
Er nickte ergeben und nahm einen Schluck von dem Whiskey, den man ihm gerade gebracht hatte.
»Nach Toyohashi bin ich gefahren, weil meine jüngere Schwester dort wohnt. Ich war dienstlich in Nagoya unterwegs, es war Freitag, und ich wollte bei ihr übernachten. Im Haus meiner Schwester bin ich im Aufzug Izumi begegnet. Ich habe gleich gemerkt, dass diese Frau Izumi Ohara sehr ähnlich sah. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie es wirklich war. Und dass ich ihr ausgerechnet im Haus meiner Schwester begegnen würde. Außerdem hatte sie sich sehr verändert. Ich weiß selbst nicht, warum ich sofort wusste, dass sie es war. Wahrscheinlich Intuition.«
»Und du bist ganz sicher, dass es Izumi war?«
Er nickte. »Sie wohnt zufällig im selben Stockwerk wie meine Schwester. Wir stiegen gemeinsam aus dem Fahrstuhl und gingen in dieselbe Richtung den Flur entlang. Sie wohnt zwei Türen vor meiner Schwester. Aus Neugier las ich das Namensschild. Es stand ›Ohara‹ darauf.«
»Aber sie hat dich nicht erkannt?«
Er schüttelte den Kopf. »Wir haben damals in der Schule so
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