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Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Titel: Südlich der Grenze, westlich der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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zurückfliegen und nicht zu spät abends wieder zu Hause sein. Es käme darauf an, wie lange wir uns dort aufhalten.«
    »Es würde nicht allzu lange dauern«, sagte sie. »Könntest du wirklich die Zeit erübrigen, um mit mir dorthin zu fliegen?«
    »Mal sehen«, sagte ich, nachdem ich kurz überlegt hatte. »Ich kann es noch nicht versprechen. Aber vielleicht klappt es. Kannst du mich morgen hier anrufen? Ich bin so um die gleiche Zeit hier. Bis dahin kann ich etwas arrangieren. Wann wolltest du fahren?«
    »Das ist mir egal. Ich habe keinen besonderen Plan. Ich richte mich ganz nach dir.«
    Ich nickte.
    »Entschuldige vielmals«, sagte sie. »Vielleicht wäre es besser gewesen, wir hätten uns nicht wiedergesehen. Wahrscheinlich mache ich am Ende nur alles kaputt.«
    Kurz vor elf verabschiedete sie sich. Ich nahm einen Schirm und hielt ein Taxi für sie an. Es regnete noch immer.
    »Leb wohl und hab vielen Dank«, sagte sie.
    Ich ging in die Bar zurück und setzte mich auf denselben Hocker. Ihr Cocktailglas stand noch dort. Im Aschenbecher lagen mehrere ausgedrückte Salems. Ich ließ beides nicht abräumen. Lange starrte ich auf das Glas und die Zigarettenkippen mit den Spuren ihres Lippenstifts.
    Als ich nach Hause kam, war meine Frau noch auf und wartete auf mich. Sie war im Schlafanzug, hatte sich eine Strickjacke umgehängt und sah sich Lawrence von Arabien auf Video an. Es lief gerade die Szene, in der Lawrence endlich am Suezkanal ankommt, nach dem er unter zahlreichen Gefahren die Wüste durchquert hat. Yukiko hatte diesen Film, soweit ich wusste, bereits drei Mal gesehen. Er sei so spannend, sagte sie, dass sie ihn immer wieder sehen könne. Ich setzte mich mit einem Glas Wein zu ihr und schaute ihn mit ihr zu Ende an.
    Nächsten Sonntag gebe es eine Feier vom Schwimmclub, erzählte ich ihr. Eines der Mitglieder besaß eine ziemlich große Jacht, auf die wir manchmal zu Angelpartys eingeladen wurden. Eigentlich war es im Februar zu kalt für eine Bootspartie, aber da Yukiko sich überhaupt nicht auskannte, schöpfte sie keinen Verdacht. Es war selten, dass ich an Sonntagen etwas allein unternahm, und anscheinend fand sie, es würde mir guttun, unter Leute und an die frische Luft zu kommen.
    »Wir brechen frühmorgens auf und sind wahrscheinlich noch vor acht Uhr abends zurück«, sagte ich.
    »In Ordnung. Am Sonntag kommt sowieso meine Schwester zu Besuch«, sagte sie. »Wir wollen, wenn es nicht zu kalt ist, im Shinjuku-Park picknicken. Nur wir vier Mädchen.«
    »Auch nicht schlecht«, sagte ich.
    Am folgenden Nachmittag ging ich in ein Reisebüro, um die Flüge und einen Mietwagen für den kommenden Sonntag zu reservieren. Es gab einen Flug, mit dem wir um 18.30   Uhr wieder in Tokio zurück sein würden. Noch rechtzeitig zum Abendessen. Anschließend ging ich in die Bar und wartete auf Shimamotos Anruf. Um zehn Uhr rief sie an. »Ich kann mich freimachen, auch wenn es ein bisschen knapp ist. Passt es dir nächsten Sonntag?«, fragte ich.
    Das ginge, sagte sie.
    Ich sagte ihr die Abflugzeit und wo wir uns am Flughafen Haneda treffen könnten.
    »Tut mir leid, dass ich dir so viele Umstände mache«, sagte Shimamoto.
    Nachdem ich aufgelegt hatte, saß ich noch eine Weile an der Bar und las. Aber der Lärm störte mich, und ich konnte mich nicht auf mein Buch konzentrieren. Ich ging auf die Toilette, wusch mir Gesicht und Hände mit kaltem Wasser und sah lange in den Spiegel. Ich hatte Yukiko angelogen. Das hatte ich schon früher getan, wenn ich mit anderen Frauen schlief. Aber damals hatte ich nicht das Gefühl gehabt, sie zu hintergehen. Es waren nur harmlose Seitensprünge gewesen. Doch diesmal tat ich wirklich etwas Unrechtes. Dabei hatte ich nicht einmal die Absicht, mit Shimamoto zu schlafen. Dennoch kam es mir falsch vor. Ich sah meinem Spiegelbild so tief in die Augen wie schon lange nicht. Doch sie verrieten mir nichts über den Menschen, der ich war. Die Hände auf das Waschbecken gestützt, stieß ich einen tiefen Seufzer aus.

10
    Der Fluss strömte rasch zwischen Felsen hindurch und bildete hier und dort kleine Wasserfälle, während er sich an anderen Stellen zu glatten Tümpeln staute, in denen sich das fahle Licht der Sonne spiegelte. Flussabwärts gab es eine alte Metallbrücke, die zu einem Ryokan, einem traditionellen japanischen Gasthaus, führte. Sie war so schmal, dass gerade ein Auto darüberfahren konnte. Das dunkle, leblose Eisengerüst senkte sich schwer in die frostige Stille

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