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Sühneopfer - Graham, P: Sühneopfer - Retour à Rédemption

Titel: Sühneopfer - Graham, P: Sühneopfer - Retour à Rédemption Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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Alabama«, flüstert er.
    Sie sitzen im Gras. Alabama hat die Wange an Collies Schulter gelegt. Sie streicht ihm übers Gesicht. Das Piepsen des EKG weicht einem Dauerton. Collie stirbt lächelnd.

VIII
    Howard Cullen
105
    Es ist kurz vor Tagesanbruch, als sich Peter und Wendy der Stadt Youngstown nähern. Die ganze Nacht waren sie unterwegs, sind abwechselnd gefahren. Wendy schläft jetzt. Peter betrachtet sie aus dem Augenwinkel. Seit dem Hospiz von Forsyth haben sie kaum ein Wort gesprochen. Nach der Einäscherung hielten sie an einer schönen Stelle am Flussufer an, und Peter watete bis über die Knie in die graue Strömung hinein. Er murmelte ein paar Worte und streute Collies Asche aus, und Wendy warf Blumen ins Wasser, die sie am Straßenrand gepflückt hatte.
    Das Morgengrauen ist nichts anderes als eine von vielen Spielarten schmutzig trüben Lichts. Peter zieht Wendy den Schal höher übers Kinn und drückt seine Zigarette im überquellenden Aschenbecher aus. Die aufgehende Sonne versucht, den Wolkenpanzer zu durchbrechen, der tief über der Ebene hängt. Sie erreichen den breiten Speckgürtel von Youngstown: graue Siedlungen zwischen Autobahnen, zu denen nicht mal ein Zubringer führt, niedrige Ein- und Mehrfamilienhäuser, einander gegenüberliegende Tankstellen. Und der Ortskern beschränkt sich auf eine Straßenkreuzung mit Stoppschild. Peter parkt schräg vor einem Dunkin’ Donuts, von dessen Fassade die Farbe blättert. Er schaltet den Motor aus. Wendy taucht aus ihrem Schal auf und reckt sich.
    »Wo sind wir?«
    »Youngstown.«
    »Scheiße – schon?«
    »Ich bin so langsam gefahren, wie es ging, Baby.«
    Peter betrachtet die verkümmerten Wohnhäuser und das efeubewachsene Rathaus. Ein paar Meter weiter präsentieren die Schaufensterpuppen in der Auslage eines Geschäfts für Damenmoden Kleider in Variationen von Braun. Einer Puppe fehlt eine Hand, andere führen ihr nacktes Plastik vor.
    Wendy angelt ihre Handtasche vom Rücksitz. Im zweiten Umschlag sind drei Blätter: Howard, steht dort, hat Financial Engineering studiert, war Trader bei einer großen Bank im Mittleren Westen, hat geheiratet, bekam ein Kind, fuhr seine erste Million ein, bis er eines Morgens, ohne ein Wort zu irgendjemandem, alles stehen und liegen ließ und verschwand, genau wie Collie.
    So weit Wendys Zusammenfassung. Stumm liest sie die letzte Seite.
    »Ich will nur wissen, ob es ihm gut geht«, sagt Peter.
    Wortlos reicht ihm Wendy das Blatt: Vor vier Jahren hat sich Howard in einer Waffenhandlung eine Pump Gun gekauft. Damit fuhr er ein paar Meilen zum nächsten Supermarkt, der seine Weihnachtsdekorationen bis auf den Parkplatz hinaus spie, und marschierte hinein. Drinnen schoss er kaltblütig, vor den Augen Dutzender Familien, einen Mann nieder. Dann setzte er sich unter ein Süßwarenregal und wartete auf die Polizei. Er wurde zum Tod durch die Giftspritze verurteilt. Er legte keine Berufung ein, stellte kein Gnadengesuch. Seither sitzt er im Todestrakt der Strafvollzugsanstalt von Youngstown. In der Woche zuvor wurde das Urteil bestätigt, die Hinrichtung soll noch an diesem Abend erfolgen. In dem großen Umschlag findet Peter ferner zwei auf beider Namen ausgestellte Besuchsgenehmigungen. Er zerreißt die Blätter mit dem Lebenslauf.
    »Was machen wir?«
    »Er ist mein Kumpel.«
    »Das ist nicht der Grund, weshalb du hier bist, Pete. Du bist hier, weil du dich ihnen gegenüber schuldig fühlst.«
    Peter versucht angestrengt, an Barbara und die Zwillinge zu denken. Ihre Gesichter werden immer undeutlicher. Auch das nimmt er sich übel.
106
    Vor den Gefängnistoren von Youngstown drängen sich die Gegner der Todesstrafe und versuchen, ihre brennenden Kerzen, so gut es geht, vor dem Regen zu schützen. Hier und dort verlöscht eine Flamme wie ein Leben, wird aber sofort von bereitwilligen feuerzeugbewehrten Händen wieder angezündet. Auf einem Podium verliest eine Aktivistin mit Megafon die Namen der Hingerichteten des Staates Ohio. Manche Transparente erwähnen Gott, das Ende aller Zeiten, das Jüngste Gericht. Andere halten nur Howards Namen ins gläserne Auge der Kameras. Shepard wählt Ackermanns Nummer in Washington.
    »Hi, Peter. Wo bist du?«
    »Youngstown.«
    »Ich habe dir einen Besuch im Todestrakt arrangiert, als Last-Chance-Anwalt. An der Pforte ist auf deinen Namen eine Akte hinterlegt. Darin findest du sämtliche Haftberichte und die Verhandlungsprotokolle. Cullen weiß nichts von deinem Besuch. Kann sein,

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