Sühneopfer - Graham, P: Sühneopfer - Retour à Rédemption
für möglich hält, daran zu sterben. Er weiß, dass er verloren hat. Wegen eines winzigen Fehlers. Am Abend ist es ihm wieder eingefallen, als er aus dem Wagen stieg und ein glutheißer Lufthauch ihm ins Gesicht fuhr. Winzige Buchstaben, die sich wie Puzzleteile zusammensetzten, um in seinem Geist ein Wort zu bilden.
Windräder .
Das war es, das verdammte Wort, das er suchte, seitdem ihn Barbara angerufen hat. Dieses verdammte Wort, der Name für das dumpfe Hämmern, das er im Hintergrund gehört hat, als sie am Straßenrand anhalten musste. Das Surren der hinabgelassenen Scheibe. Das Knirschen von Kies unter den Sohlen des Mörders. Das Geplapper von Monica und Meredith. Und dieses Geräusch. Dieses verdammte Geräusch in der Ferne, das er für das Pumpen von Ölbohrtürmen gehalten hat. Dieses Geräusch ist der Schlüssel zu allem.
»Übrigens, Schatz, weißt du was?«
»Nein.«
»Bei der Ausfahrt aus dem Flughafen war ein monströser Stau.«
»Wie immer, oder?«
»Ja, aber diesmal kannst du stolz auf mich sein, weil ich … Oh, Scheiße.«
Beim Anblick der Staubteufel auf dem Asphalt hat er endlich begriffen, warum er auf Barbara stolz gewesen wäre. Weil sie, als sie im Stau feststeckte, ihren ganzen Mut aufgebracht hat und die südliche Route Richtung Pahrump genommen hat, die Straße, neben der riesige Windräder in den Himmel ragen.
Hundertdreißig Meilen, die er bis zum Sonnenuntergang schaffen musste. Mit durchgedrücktem Gaspedal rief er Callum an, um ihm zu sagen, dass er jetzt wusste, wo der Eingang zum Labyrinth war. Es war beinahe Nacht, als er in der Stille ringsum wieder das Vibrieren der Rotoren wahrnahm.
Er stieg aus und betrachtete einen Moment lang die Monster aus Stahl, die den heißen Wüstenwind verrührten. Dann kauerte er sich nieder und berührte sacht den Sand, wo die Reifen des Lexus bei Barbaras vergeblichem Fluchtversuch tiefe Spuren gegraben hatten. Zu Fuß folgte er ihnen. Er stieß auf weitere Spuren jenseits der Straße. Er richtete sich wieder auf und starrte in die trockene Ödnis, in die der Mörder seine Familie verschleppt hatte. Das Herz der Deadlands. Eine abscheuliche kleine Stimme, ruhig und traurig, murmelte ihm das ins Ohr. Eine Stimme wie von einer dieser Nonnen oder Ehrenamtlichen, die dir frühmorgens mitteilen, dass deine Familie leider von einem Dreißigtonner überfahren wurde, aber das Leben muss nun mal weitergehen.
Callums Wagen bog auf den Rastplatz ein und bremste. Der große Schwarze wirkte erschöpft. Die Helikopter, sagte er, suchten diesen Sektor jetzt mit Infrarotkameras ab. Wenn der Lexus unter freiem Himmel stehe, bestehe die Chance, dass die Geräte das Wärmebild der Mädchen empfingen. Shepard gab keine Antwort.
19
Shepard steht an der oberen Kante einer Felswand und erleichtert sich. Am Horizont erkennt er die von den Geländefahrzeugen der Nevada Rangers aufgewirbelten Staubfahnen. Er pinkelt ins Leere, richtet seinen Urinstrahl in eine Tiefe von gut vierhundert Metern.
Unwillkürlich tritt er näher an die Kante. Der Sand knirscht unter seinen Füßen. Ein bitteres Lächeln spielt um seine Lippen, als er sich über den Abgrund beugt. Es wäre so einfach. Er müsste sich nur noch ein Stück weiter vorbeugen, und schon nähmen die überlegenen Kräfte des Universums die Sache in die Hand. Ein paar Augenblicke Panik und Bedauern, dann würden seine Gedanken und sein ganzes Sein auf den Felsen zerspringen wie Glas.
Ein Schwarm Aasgeier zieht am Himmel seine Kreise. Sie wittern schon ihre Beute. Shepard breitet die Arme aus. Noch ein paar Millimeter. Der sandige Boden. Über ihm die Geier. Er ist selbst beinahe schon ein Vogel. Seine Lider sind im Begriff, sich zu schließen, als ihn von fern ein plötzliches Funkeln blendet. Ein Sonnenstrahl ist auf etwas Blankes, Reflektierendes getroffen. Shepard fängt sich wieder. Er zwingt sich, den Horizont abzusuchen. Woher kam dieses Blitzen? Es war doch direkt vor ihm, nur ein paar Meilen tief in den Deadlands. Ein Stück Schrott, das die Morgensonne einfängt, inmitten eines Friedhofs aus Felsspalten und Tafelbergen.
Ohne die Landschaft aus den Augen zu lassen, geht Shepard rückwärts zum Wagen. Er öffnet die Beifahrertür und tastet im Handschuhfach nach seinem Fernglas, findet es und kehrt zur Kante der Felswand zurück. Als ihn nur noch ein Schritt vom Abgrund trennt, blitzt es wieder, ein Gleißen, das ihm in die Netzhaut sticht, aber er schließt die Augen nicht. Noch eine Weile glüht
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