Sühnetag - Patterson, J: Sühnetag - Worst Case
Wichtigste ist, ich bin jetzt hier, um mich an Ihrer Schönheit zu ergötzen.«
» Was für ein Charmeur«, seufzte Mrs. Clautier und berührte seine Wange. » Francis, ich habe Ihnen schon so oft gesagt, Sie wurden mehrere Generationen zu spät geboren.«
» Und Sie einige zu früh, meine Liebe«, erwiderte Francis. Er lehnte die Speisekarte ab, die der Kellner im Smoking ihm reichen wollte, und bestellte die Rotzunge.
» Ich war heute mit Caroline zum Mittagessen, und sie hat mir erzählt, Sloan-Kettering macht für ihre Soiree von Prominenten entworfene Lunchboxen«, berichtete Mrs. Clautier der Gruppe. » Ist das nicht zum Schreien? Die Idee stammt von Brooke.«
Für Mrs. Clautier, die Diva der New Yorker Gesellschaft, wäre es unter ihrer Würde gewesen, sich wegen der Belieferung von Namen wie Kennedy und Shields zu überschlagen.
Mr. Clautier war ein dreister Snob. In Wahrheit ging ihm New York Restore mit der langweiligen Mission, Manhattans Spiel- und öffentliche Plätze zu erhalten und zu verschönern, völlig am Arsch vorbei. Der einzige Grund für sein Erscheinen war, Mrs. Clautier bei Laune zu halten. Im Lauf der Jahre war er so etwas wie ein inoffizieller Philanthropieberater für sie geworden, was ihn in die Lage versetzt hatte, mehrere Millionen des riesigen Ölvermögens, das sie von ihrem Mann geerbt hatte, in andere, wichtigere Aufgaben umzulenken.
An diesem Abend wollte er gleich nach dem Essen eine noch größere Summe als sonst aus ihr herauspressen. Die Papiere lagen unter der Automatik in seinem Koffer zur Unterschrift bereit.
» Champagner, Mr. Mooney?«, fragte der stets zurückhaltende Oberkellner, als Mrs. Clautier eine Geschichte über das letzte Unglück zum Besten gab, in das ihr Pekinese, Charlie, geraten war.
» Glenlivet. Einen doppelten«, flüsterte Mooney zurück.
Vierter Teil
Ein Fall von Mildtätigkeit
65
Francis Mooney wachte mitten in der Nacht auf und bereute, dass er am Abend zuvor noch einen dritten Scotch bestellt hatte. Alkohol setzte ihm nachts immer schwer zu. Es gelang ihm nicht wieder einzuschlafen, bis die Xylophon-Melodie von 1010 WINS aus seinem Radiowecker ertönte.
» Guten Morgen«, wünschte der Sprecher. » Es ist fünf Uhr dreißig. Das wechselseitige Parken ist auf den jeweiligen Straßen heute wegen Aschermittwoch ausgesetzt.«
Als der Sprecher den Aschermittwoch erwähnte, stieg Verzweiflung in Francis auf. Er fühlte sich, als müsste er sich übergeben.
Es ist so weit, dachte er und begann zu wimmern. Nein! Es ist viel zu früh. Ich schaffe es noch nicht.
Tränen rannen an seinen Wangen hinab. Er musste ganze zehn Minuten langsam atmen, um sich so weit in den Griff zu bekommen, dass er sich aufrichten konnte. Er ballte seine Hände zu Fäusten und grub die Fingernägel so fest in seine Handflächen, wie er konnte. Der Schmerz war herrlich, der Trick funktionierte. Er wischte sich die Augen trocken, schaltete das Radio aus und schwang die Füße aus dem Bett.
Er kochte Kaffee, mit dem er durch die makellosen Räume seines Stadthauses in der 25 th Street in Chelsea ging. Im zweiten Stock lag sein Lieblingsplatz, seine Dachterrasse.
Die Luft im Freien war angenehm kühl. Er wackelte mit den nackten Zehen auf der Teerpappe, erinnerte sich daran, wie er als Kind auf dem Dach seines Elternhauses in Inwood Fangen gespielt hatte. Gefiel ihm deshalb seine Dachterrasse so gut?
Unten auf der fast leeren Straße knallte eine Straßenplatte, als ein Taxi darüberbrauste. Francis lächelte, blickte nach Norden auf das grüne McGraw-Hill-Gebäude, das aus dem Häusermeer wie ein Art-déco-Kreuzfahrtschiff herausragte. Sein Lächeln erstarb, als er sich dem Morgengrauen am östlichen Horizont hinter dem Empire State Building zuwandte.
Der Tag nahte. Er würde sich nicht aufhalten lassen. Wieder lief eine Träne seine Wange hinab. Er wischte sie fort, atmete tief durch und neigte seinen Kaffeebecher in Richtung der Morgendämmerung, als wollte er ihr zuprosten.
Graues Licht ergoss sich auf die 25 th Street, als er eine halbe Stunde später die Haustür öffnete. Er war stets gut gekleidet, doch an diesem speziellen Morgen hatte er alles übertroffen. Er hatte sich für einen hellgrauen Nadelstreifenanzug von Henry Poole entschieden, den er sechs Jahre zuvor auf einer Geschäftsreise in London für einen Haufen Geld erstanden hatte. Er ließ die Hand an dem glatten Revers seines Jacketts hinabgleiten und blickte auf seine schwarzen
Weitere Kostenlose Bücher