Sünde einer Nacht (Geschichtentrilogie Band 3 Romantische Geschichten)
unser Geheimnis bleiben. Nur unseres. Versprichst du mir das?“
Gehorsam nickte Helga und machte dabei einen kleinen Knicks, so wie sie es von den Nonnen gelernt hatte. Sie war wie immer etwas ängstlich, aber auch sehr neugierig. Neugierig auf das Geheimnis, das in dem dunklen Häuschen auf sie wartete.
‚Bestimmt sind Schätze da drinnen‘, dachte sie erregt, ‚bunte Tonkugeln vielleicht. Oder Glaskugeln mit seltsamen Gebilden. Bunte Bänder. Ein Kreisel aus Holz. Mit vielen Rillen. Und dazu eine Peitsche. Vielleicht sogar ein Sesam öffne dich? Wie in dem dicken, bunten Märchenbuch, aus dem der alte Bergmann den Mädchen jeden Abend eine Geschichte vorliest?‘
Ja, sie würde schweigen. Sie hatte immer geschwiegen. Niemals hatte jemand gefragt, was sie denkt oder fühlt. Sie kann schweigen. Wie ein Grab.
Fröhlich hüpfte das Mädchen durch die niedrige Tür und stand sofort im Dunkeln. Sie mochte die Dunkelheit nicht. Sie machte ihr Angst. Auch hier. Besonders hier. Das Herz pochte dem Mädchen bis zum Hals.
„Onkel Bergmann, mach bitte das Licht an“, bat sie zaghaft.
„Licht haben wir hier nicht“, erwiderte der Mann. „Aber du brauchst keine Angst zu haben. Ich mach gleich den Fensterladen auf, damit du mich sehen kannst.“
Helga beruhigte sich etwas. Onkel Bergmann war ein netter Mensch, die gute Seele des Hauses, wie die Nonnen immer sagten. Man konnte ihn nicht entbehren, auch wenn er manchmal etwas eigenartig war. Er versorgte das Kloster mit Holz und sorgte dafür, dass die Zöglinge es immer schön warm hatten und im Winter nicht frieren mussten. Er reinigte auch die alten Kanonenöfen, von denen in jedem Zimmer einer in der Ecke stand. Und er putzte die langen, schwarzen Rohre, damit sie immer schön glänzten. Und für das Licht sorgte er auch, damit er den Kindern jeden Abend Punkt achtzehn Uhr eine schöne Geschichte vorlesen konnte, bis die Nonne Henriette kam und sagte:
„Schluss jetzt, Herr Bergmann. Die lieben Kleinen müssen nun schlafen. Auf welches Mädchen fällt diesmal Ihre Wahl? Welches war besonders folgsam?“
Einige Mädchen wurden dann immer ganz steif in ihren Betten und zogen sich schnell die Decke über den Kopf.
„Diese da“, sagte er diesmal und zeigte auf sie. Helga.
„Komm, Helga“, hatte Henriette gesagt und ihr die Zöpfe fester gebunden, „du darfst noch eine Stunde in Herrn Bergmanns Garten spielen.“
Der alte Bergmann war nach draußen gegangen und klappte jetzt den Laden zur Seite. So fiel die Dämmerung in den engen Raum.
Helga sah eine Eckbank an der Wand unter dem Fenster und davor einen langen Holztisch. An der Stirnseite stand ein grün gestrichener Stuhl. Darauf lag ein dicker Strick. Daneben ein rotes Tuch.
„Sind das die Schätze?“ Schnell lief Helga zu den vermeintlichen Schätzen.
„Ja, die Schätze.“
Der Mann lachte ein warmes, doch seltsam erregtes Lachen. Zärtlich streichelte er die Wangen des Kindes.
„Und wo ist das Geheimnis?“
Wie eine kleine Katze rieb Helga ihr Gesichtchen an dem rauen Stoff der Hose des alten Bergmann.
„Gleich zeige ich es dir“, flüsterte er, „ich führe dich hin. Aber ich muss dir die Augen verbinden, damit du es nicht zu früh siehst.“
Helga schloss die Augen, der alte Bergmann legte ein Tuch darüber, verknotete es an ihrem Hinterkopf, brummte zufrieden. Er summte sogar eine Melodie. Helga vernahm Wortfetzen des Textes - Wie ein Vogel zu fliegen/In die Lüfte hinein/ Ja das wäre ein Vergnügen/ Möcht' ein Vogel wohl sein.
Der Mann war über sich selbst gerührt. Wie liebte er diese kleinen, süßen Dinger. Ihre zarte Haut. Die Unschuld ihrer Seelen. Er musste sie besitzen, obwohl er wusste, dass ihn danach unweigerlich der Katzenjammer entsetzlich plagen, das schlechte Gewissen ihn zerfressen und er die ganze Nacht vor dem Altar in der Kapelle knien würde. Wie oft schon hatte er sich mit dem Ochsenziemer blutig gezüchtigt und Gott um Vergebung angefleht. Um Gnade. Unzählige Male hatte er sich und ihm geschworen, es nie wieder zu tun. Sich gewünscht, entdeckt zu werden. Seine gerechte Strafe zu bekommen. Ja, er war bereit, vor der Welt zu sühnen, um endlich seinen Frieden zu finden.
Doch hinter den Klostermauern lag das große Schweigen. Und der alte Bergmann war ein schwacher Mensch. Ein Mann, der sich und die Mädchen zerstörte. Das war ihm schmerzlich bewusst.
‚Aber verflucht‘, dachte er, ‘ich muss es tun. Ich muss. Da ist etwas in
Weitere Kostenlose Bücher