Sünde einer Nacht (Geschichtentrilogie Band 3 Romantische Geschichten)
war keiner zu sehen. Aber ein Richter. Dieser vertrat wohl den Staatanwalt gleich mit. Den Verteidiger anscheinend auch. Und die angekündigte Zeugin.
Iv kicherte amüsiert hinter seiner Hand. Jedenfalls war nirgends eine zu erblicken.
„Ist die Zeugin endlich eingetroffen?“ Der Richter blickte den Gerichtsdiener ungeduldig an.
„Nein. Leider noch nicht.“
„Die alte Ziege sitzt bestimmt immer noch an ihrem Fenster“, murmelte Iv. „Auf die können Se lange warten.“
„Ruhe!“, forderte der Richter ungehalten. Er wartete noch einen Moment, raschelte mit den Akten, wand sich dann zu Iv:
„Ihre Personalien, bitte.“
„Die kennen Se doch.“
„Ich will sie aber von Ihnen bestätigt haben.“
Iv schwieg verbockt.
„Gut. Dann erzählen Sie uns bitte etwas über Ihren Werdegang. Und Ihre derzeitige Situation.“
Ivs Gesichtszüge erstarrten. Seinen Werdegang? Seine derzeitige Situation?
‚Was geht das euch an?‘, dachte er starrköpfig. „Und was hat das mit dem Blumenständer zu tun?‘
Iv schwieg hartnäckig.
„Gut.“ Die Stimme des Richters wurde eine Nuance schärfer. „Dann erzählen Sie uns jetzt bitte den Tathergang.“
„Na, jut, Herr Richter“, raffte Iv sich endlich auf, „den könne Se haben. Obwohl icke den och schon so oft erzählt habe.“
„Ich brauche ihn aber noch mal. Bitte berichten Sie. Aber wahrheitsgemäß. Sie dürfen nicht lügen, und nichts verschweigen. Ich kann Sie auch vereidigen lassen.“
„Schon gut, Herr Richter.“ Iv setzte sich gerade hin. „Ick kam jerade aus der Kneibe an ne Ecke und war stockbesoffen. Uff emal fand ick mir uff de Wiese wieder. Da vor det Hochhaus. Un was erblicken meine entzündeten Ogen? Det Blumenjestell. Det wunnerschöne. Mit dem Blumentopp obendruff. Ja. Un dann hab ick det Ding mitjehen lassen. Det wollte zu mir. So war det. Un det is de volle Wahrheit. So wahr ick hier steh. Herr Richter von Jottes Gnaden.“
„Gut.“ Der Richter schloss die Mappe mit den Unterlagen. „Da die Zeugin nicht erschienen ist, spreche ich hiermit den Angeklagten aus Mangel an Beweisen frei. Die Kosten trägt die Staatskasse. Und Sie bringen den Blumenständer bitte wieder dahin, woher Sie ihn genommen haben. Verstanden?“
„Ja, Herr Richter.“
„Die Sitzung ist geschlossen.“
Natürlich dachte Iv nicht daran, den Blumenständer, sein Schmuckstück, wieder zurückzubringen. Stattdessen kaufte er sich eine schöne Rankepflanze mit dunkel - und hellgrünen Blättern, pflegte und hegte sie und erfreut sich täglich an ihrem prächtigen Gedeihen. Ja, er behandelte sie wie eine Geliebte, oder besser, wie man eine Geliebte behandeln sollte. Er versprach ihr den Himmel auf Erden. Bereitete ihr den Himmel auf Erden. Goss sie, nährte sie, streichelte sie. Und was das Wichtigste war: Er sprach mit ihr.
Drei Monate später.
„Du hast eenen jans neuen Menschen aus mir jemacht.“ Liebevoll streichelte Iv die Leben strotzenden Blätter der Pflanze. „Nur wejen dir hab ick mir so verändert. Die Arbeit bei de Müllabfuhr is ooch nich die schlechteste. Un ick trinke ooch nicht mehr so ville. Ick will mir ja nich vor dir schämen müssen. Meine Liebste.“
Das Geheimnis
D ie kleine Helga mit den rotblonden Zöpfen und den lustigen Sommersprossen auf der Nase und den rundlichen Wangen trällerte ein Lied.
Die Hand des Kindes lag vertrauensvoll in der großen arbeitsharten Hand des alten, dicklichen Bergmann. Sie hatten sich schon ziemlich weit von den Mauern des ehrwürdigen Klosters entfernt und überquerten jetzt die Hauptstraße, liefen den schmalen Weg am Alten Teich entlang, vorbei an den gepflegten Schrebergärten und machten Halt vor einem hölzernen Gartentor. Der alte Bergmann holte einen Schlüssel aus seiner Hosentasche. Etwas umständlich schloss er das Tor auf und von innen wieder zu.
Es war Frühling. Im Garten blühten die Kirschbäume. Stare saßen auf den Telefondrähten vor den Gärten und ruhten sich aus. Sie warteten wohl auf die baldige Kirschernte.
Die Sonne stand schon tief. Doch noch immer umschwirrten Hummeln und Bienen die weißrosa Blüten.
Der Mann ergriff wieder die Hand des Mädchens und führte es zu einem winzigen Häuschen, das aus rohen Brettern notdürftig zusammengenagelt war.
„Geh da hinein, Helga“, sagte er mit sanfter Stimme. „Dort drinnen wartet ein Geheimnis. Du darfst es aber keinem Menschen verraten. Es muss für immer und ewig
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