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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
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Haare waren naß vom Schnee. Sie fürchtete sich, zu Hause im Bett zu liegen und nicht schlafen zu können. Sie sehnte sich nach Lacan, auch wenn sie sich gestand, daß sie ihn nur brauchte, um sich abzulenken. An einer Bushaltestelle bat sie eine Frau um Feuer. Wolkenberge türmten sich plötzlich vor den Sternen. Der Rauch der Zigarette und der Schwaden ihres Atems zerstoben in der kalten Luft. Weinend schlenderte sie den Tauentzien entlang, hinter ihr eine Fußspur im frischen Schnee.
     
    Der Wagen der beiden Polizisten parkte auf der Genthiner Straße vor einem Möbelhaus und schneite langsam zu. Ein Stück weiter auf der anderen Straßenseite verteilten sich am Bordstein Fixerinnen, die auf die letzten Freier warteten, um sich mit einem Druck traumlosen Schlaf zu kaufen.
    Schulz und sein Kollege lauschten rauchend dem knisternden Polizeifunk. Schulz dachte an seine Frau. Wenn er mehr Mut besessen hätte, hätte er sie schon vor zwei Jahren aus einem Fenster geschmissen. Während des nächtlichen Dienstes malte er sich immer wieder aus, wie er sie loswerden könnte, doch vor jedem Einfall schreckte er zurück.
    Franke neben ihm beobachtete die Mädchen. Ab und zu trank er einen Schluck Bier. Einmal machte er den Scheibenwischer an.
     
    Die Stadt versank im Schnee. Bernhard Lacan lenkte seinen Opel vorsichtig über die glatten Straßen. Hartmanns Kopf lag auf dem Hemdkragen. Lacan sah ihn an.
    »He, Hartmann, was ist los? Ich denke, wir wollten noch was trinken?«
    Sein Freund zuckte zusammen.
    »Ich habe nachgedacht!«
    »Soso, du denkst nach!«
    »Über dies und das.«
    Bitte keine Geständnisse, dachte Lacan wieder, ich weiß Bescheid. Vor der Domino-Bar stützte sich Hartmann einen Augenblick auf das Autodach und senkte den Kopf. Dann lief er hinter Lacan über die Fahrbahn und schlitterte ausgelassen die letzten Meter bis zum Eingang. Na also, dachte Lacan, es geht doch.
    Die Domino-Bar öffnete erst um ein Uhr nachts. Sie bestand aus einem winzigen Raum, den ein langer Tresen zu zwei Dritteln ausfüllte. Der schmale Gang zwischen der Bar und der mit einem Spiegel verkleideten Wand machte es unmöglich, mit einem Hocker umzukippen, was für die meisten Gäste von Vorteil war. Hinter dem Barraum führte ein Gang zu den Toiletten und zum Zigarettenautomaten. Unter der Decke hingen zwei Bahnen gewellte Balkonverkleidung aus hellem Plexiglas.
    Lacan und Hartmann lehnten an der Theke, über die sich die Kellnerin beugte.
    »Was wollter denn?«
    »Zwei große Grappa!«
    Lacan zündete sich eine Zigarette an und blies mit dem Rauch das Streichholz aus.
    »Sag mal, Hartmann, hast du eigentlich noch deine ganzen Bilder?«
    Hartmann drehte wackelnd den Kopf.
    »Du hast doch die Wände voll gehabt mit Wunderlichs und Jansens!«
    Hartmann war für einen Moment ganz ruhig und konzentriert. Er goß den fauligen Schnaps in sich hinein. »Alles verkauft!«
    Lacan roch an dem Likörglas.
    »Die Kunst geht nach dem Geld«, sagte Hartmann. »Wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Eins der wenigen Dinge, die mir glasklar sind«, nuschelte Lacan.
    »Ich sammle schon lange nicht mehr.« Das Weiße in Hartmanns Augen war rot geädert, die Pupillen ertranken in Alkohol. Er wurde lauter. »Im Tresor, da liegt die Kunst!«
    Lacan nickte verständnislos.
    »Und wenn ich sammeln würde: Nur noch Oelzes, Oel …«, er verschluckte die letzten Silben. Lacan bestellte zwei Anschlußgrappa. Er spürte, wie seine Zunge schwerer wurde.
    »Oelzmann? Wer is ’n das? ’n Moderner?«
    Hartmann hatte einen arroganten Zug um den Mund.
    »’n Klassiker sozusagen. So ’ne Art, so ’ne Art Surrealist. Der hat die meisten seiner Bilder wieder zerrissen oder für Schnaps verkauft.«
    »Mir verkauft niemand was für Schnaps«, sagte Lacan.
    »Aber sag mal, was gibt’s denn da noch zu sammeln?«
    »Eben nichts mehr!«
    Ungeschickt drückte Lacan die halbgerauchte Zigarette aus, so daß der Stummel im Aschenbecher weiterqualmte.
    »Und das sammelst du?« Er stutzte und lachte. »Oder etwa die Schnipsel, halt mal.«
    »Quatsch«, sagte Hartmann, dem die Artikulation einzelner Laute schon hörbar schwerfiel. »Jetzt hörma zu: Der Oelze, nich, der ist gar keine große Nummer, aber es gibt nur ganz wenige erhaltene Bilder von dem und dem … und dem …«, er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn, »… und dementsprechend sind die Preise.«
    »Wertvoll also«, sagte Lacan, der noch nicht recht verstand, auf was Hartmann

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