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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
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hinauswollte.
    »Ich könnt’ mir glatt ’n paar Spinner vorstellen, die sich die linke Hand abschneiden lassen, um an so ’n Teil ranzukommen.«
    »Anke, bring ma noch was zu trinken!« rief Lacan.
    »Verstehste jetzt«, sagte Hartmann. »So ’n Oelze is unheimlich viel wert.«
    »Wieviel?«
    »Na unter Brüdern, so, na so 100 Mille.«
    Die Kellnerin füllte aus einer dickbauchigen Flasche den mattgelben Trester in ihre Gläser.
    »Wollt ihr was rauchen?« fragte sie.
    »Aus dem Alter sind wir raus«, sagte Hartmann.
    »Oh Entschuldigung die Herren«, lachte Anke und ging. Lacan versuchte, den Faden zu finden.
    »Sag mal, Roland, wo halten sich denn die Oelzes so in der Regel auf?«
    Hartmann senkte die Stimme. »Kaufen kannste die nicht, das macht sie noch teurer. 105 Mille das Bild. Aber inner … inner Akademie hängen zur Zeit zwei rum, ’n Kleiner und ’n Großer.«
    »Salute Hartmann!«
    »Salute Lacan! Kannste mir noch folgen?«
    »Aber hallo, ich bin doch nicht besoffen.«
    Beide kicherten, Hartmann fing sich als erster.
    »Paß auf. Den Großen kann man schlecht transportieren, aber der Kleine gefällt mir sowieso besser. Viel besser. So ’n ganz kleiner Oelze.«
    Er hielt die Hände auseinander, um Lacan das Format zu demonstrieren.
    »Und gestern«, Hartmann befeuchtete mit der Zunge, auf der schon kleine Stacheln wuchsen, seine Lippen, »und gestern war ich auf der Ausstellung. So.«
    Der Chef der Kinderbande sah Lacan verächtlich an. Bernhard verstand nichts und hielt sich an seinem Grappa fest.
    »Is überhaupt nicht gesichert, überhaupt nicht.«
    Lacan wurde heiß. Er wußte nicht mehr, was er von Hartmann halten sollte, von Hartmann, dem glücklichen Tölpel, der immer auf die Füße fiel.
    »Hartmann, Hartmann, was ’n los mit dir?« stammelte Lacan.
    »Jetzt … jetzt trinkn werma zwei Kaffee«, sagte Hartmann.
    »Meinswegen. Und zwei Grappa, den Göttertrunk!«
    Es war fast vier Uhr, und es würde noch lange nicht aufhören zu schneien. Hartmann lehnte sich an Lacans Schulter.
    »Sama, Bernie, erinnerst du dich noch an unsere Tabernakelgeschichte, damals inner Herz-Jesu-Kirche?« Beide lachten schallend.
     
    Oberst Nikolai Koljatow stand an seinem Fenster und sah den Schneeflocken nach, die in der Dunkelheit verschwanden. Oft dachte er an solchen Abenden an die Ukraine und an die unbeschwerten Spiele der Kindheit, die ein jähes Ende fanden, als er dreizehn war. Die Deutschen hatten seine Stadt niedergebrannt, und er war mit der Mutter und der Großmutter und den Geschwistern nach Osten geflohen. Noch vor seinem 16 . Geburtstag war er Partisan geworden. Sein ganzes Leben wäre anders verlaufen – so, wie er es sich jetzt erträumte –, wenn dieser 12 . Oktober 1941 nicht gewesen wäre. Koljatow ging zu seinem Schrank und öffnete eine neue Flasche Wodka. Er stellte die Flasche auf seinen Nachttisch und warf sich aufs Bett. Der Schnee fiel eintönig. In seinem Kopf verschwammen die Gedanken. Ilona, die Hure von der Potsdamer Straße, saß plötzlich auf einem der deutschen Panzer, die in breiter Front über die kahle Ebene verbrannter Weizenfelder rasselten, und irgendwo dazwischen rannte der Pressesprecher der amerikanischen Garnison und schrie in ein Megaphon, daß die Sowjets selbst zusehen müßten, wie man parallel funktionierende Rechnerspeicher erfindet.
    Koljatow hätte es gerne einmal mit Ilona gemacht, nur einmal, obwohl das nichts ändern würde. An seinem Kummer nicht und auch nicht am Zustand der Welt. Er löschte das Licht. Ein, zwei Gläser noch, und er würde schlafen können.
     
    Die Ärzte und die Krankenschwestern in der Ambulanz am Kleistpark hatten bis vier Uhr morgens drei Platzwunden und eine Stichwunde in einer linken Schulter versorgt. Sie saßen im Aufenthaltsraum und sahen sich Videos an; sie waren schon zu müde, um der verworrenen Handlung zu folgen.
    Kurz nach vier klingelte es am Eingang. Zwei Polizisten, die durchsichtige Plastikhandschuhe trugen, hielten in ihrer Mitte einen Stadtstreicher, der kaum mehr stehen konnte. Der schmutzige Kragen seines Hemdes war mit getrocknetem Blut besudelt, und sein Kopf baumelte auf seiner Brust. Es sah aus, als wollten zwei Zirkusarbeiter eine Puppe zu ihrem Auftritt in die Manege schleifen. Franke und Schulz hatten den Mann auf einem Parkplatz aus einer Schneewehe gezogen und zur Ambulanz gebracht. Während sich die Ärzte und Schwestern um die blaugefrorenen Beine des Alten kümmerten, setzten die beiden einen

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