Sünden der Faulheit, Die
wie’n Pausenclown aus oder was?«
Durch das Schiebedach rieselten Schneeflocken auf ihre Haare. Hartmann zündete sich eine Zigarette an.
»Los, Mensch, ich friere.«
Lacan trank noch einen Schluck Cognac. Hartmann plusterte sich auf:
»D’ Menschhaid hod es auf alln Gebied’n zu Höchstleisdungn g’brocht, nur nicht auf däm Gebied dr Griminalidät!«
Lacan lachte. Hartmann war sich seiner Sache völlig sicher. Bernhard war wieder ein Junge und spielte bei einem Streich mit. Sie hatten einige üble Streiche zusammen begangen. Einmal hatten sie in den Briefkasten von Bergmann gepinkelt, danach hatte Bergmann seinen Briefkasten einen Meter höher gehängt. Diese Szene – Bergmann mit dem Briefkasten auf einer Leiter, der hechelnde Hund neben ihm – fiel Lacan wieder ein. Mit Roland Hartmann war immer alles gutgegangen.
»Fährst du jetzt endlich, oder meditieren wir noch ’ne Minute?« fragte Hartmann.
Auf dem Hanseatenweg parkte Lacan am Hinterausgang der Akademie der Künste. Sie steckten die Leitern ineinander und lehnten die wacklige Konstruktion an die Rückwand des Gebäudes. Hartmann stieg als erster hoch, gleich hinter ihm Lacan, der sich am liebsten an den Rockschößen seines Freundes festgehalten hätte. Es gab kein Zurück mehr.
Die Scheibe klirrte laut, als Hartmann mit dem Kreuzschlüssel zuschlug, den er unter seinem Sitz in Lacans Auto gefunden hatte. Schnell drückte er mit dem Werkzeug die Splitter beiseite, die noch im Fensterrahmen hingen. Eine Alarmanlage bellte los. Ungelenk kletterten sie durch die Öffnung. Hartmann kannte sich in der Akademie genau aus. Er riß den Oelze von der Wand. Das Signal einer zweiten Alarmanlage schnarrte wie ein elektrisch verstärkter Wecker.
»Stell das Scheißding doch mal aus!« schrie Lacan.
»Zeig mir mal den Schalter!«
Sie hasteten zum Fenster zurück. Lacan dachte, man müßte den Lärm in ganz Berlin hören. Er bestieg die Leiter, und mehr rutschend als kletternd kam er nach unten.
»Fang das Bild auf!« rief Hartmann.
Als Lacan zum Auto lief, glaubte er, seine Beine versagten ihm jeden Augenblick den Dienst. Er zitterte am ganzen Körper. Irgend jemand in den Häusern ringsum mußte doch aufgewacht sein. Als er das Bild auf die Rückbank legte, übertönte ein Schrei die Alarmanlage. Entsetzt drehte Lacan sich um. Am Fuß der Leiter lag Hartmann auf dem Kopfsteinpflaster des Parkplatzes; wie ein zusammengefalteter Sack lag er da und stöhnte. Lacan rannte zu seinem Freund. Ein dünner Blutfaden rann aus Nase und Mund.
»Alles in Ordnung?«
Hartmann nickte schmerzverzerrt und schloß die Augen. Lacan schleifte ihn zum Auto.
Auf der Straße des 17 . Juni kurbelte er das Schiebedach zu und drehte sich nach hinten. Hartmann hatte eine Hand auf seine Stirn gelegt. Als Lacan um eine Ecke bog, stöhnte er.
»Reiß dich am Riemen, Mensch!«
Lacan langte auf die Konsole, wo der Flachmann lag. »Willste auch?«
Hartmann gab ein Geräusch von sich, das sich für Lacan wie nein anhörte.
»Dann eben nicht.«
»Vorsichtig, tut so weh«, röchelte Hartmann von hinten, doch Lacan hatte ihn nicht verstanden. Ihm war schlecht und schwindlig, er wollte nur noch nach Hause. Von weitem heulten Sirenen durch die Schneedämmerung.
Die große Stadt erwachte. Die ersten U-Bahnen waren überfüllt. Arbeiter fuhren zu AEG und Siemens, Putzfrauen zu den Großraumbüros am Fehrbelliner Platz. In der Linie 1 vom Schlesischen Tor zum Zoo saßen, zwischen andere müde Fahrgäste geklemmt, zwei schwarzverschleierte Frauen und lasen im Koran. Auf der Potsdamer Straße wurden die letzten Abrechnungen gemacht.
Eddie und Assidertürke kurvten in einem Ford Granada durch Schöneberg. Sie hatten ihren Mann nicht gefunden. An einem Imbiß holte Assi Currywürste und Pommes frites.
Assidertürke war gar kein Türke. Er hieß eigentlich Oswald, aber man kannte ihn unter jenem Namen, seit er mal für eine Türkengang gearbeitet hatte. Er war Mitte Dreißig und hatte die Statur eines Rummelplatzboxers. Assidertürke war ein gutmütiger Mensch, solange ihm nicht jemand das Gegenteil befahl; mit Eduard Greffrath bildete er ein gutes Gespann.
»Solln wir et stecken für heute nacht?« fragte Assi.
»Ick fahr’ noch jrade bei Kutti vorbei, vielleicht hat er ihn jesehn.«
»Jloob ick nich, dit er sich da noch hintraut«, sagte Assi und spießte ein Stück Wurst auf. Assi kannte den vier Jahre jüngeren Eddie noch aus einem Kinderheim. Eddie war hager,
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