Sünden der Faulheit, Die
verschlagen und feige. Man nahm ihn nicht ernst, wenn er alleine auftrat, vor seiner Hinterlist mußte man aber auf der Hut sein. Eddie zupfte nervös an seinem dünnen Oberlippenbart und sah auf die Uhr. Es war nach fünf.
»Lassen wir et bleiben und krallen uns den Penner morjen, wa«, sagte Assi, der noch ein Bier trinken und flippern wollte. Er hielt den Lokalrekord im »Bierparadies«, einer Spelunke am Landwehrkanal, in der zweitklassige Zuhälter und ihre Frauen frühstückten.
»Na jut«, sagte Eddie. »Aba morjen is er fällich.«
Assidertürke nickte umständlich und sagte:
»Fahr mir an meine Kneipe vorbei.«
Als er ausgestiegen war, steckte sich Eduard Greffrath eine Zigarette in sein gelbes Gesicht und machte das Autoradio an: Nachrichten und der Wetterbericht. Wütend drehte Eddie am Sendersuchlauf. Er hatte Lust auf Soul, um sich noch mal in Stimmung zu bringen, aber selbst im AFN war Hillbilly. Eddie fluchte. Die Götter des Rundfunks waren nicht auf seiner Seite. Er fuhr in sein Einzimmer-Appartement und zog sich die Bettdecke über den Kopf.
Als der Einsatzbefehl über Funk kam, schaltete Schulz Martinshorn und Blaulicht an, und Franke raste los.
»So eine Scheiße«, sagte Schulz und knöpfte seine Uniform zu.
»Scheiße hin oder her, flüster’ mir lieber den kürzesten Weg zur Akademie«, sagte Franke.
»Entlastungsstraße hoch, anner Philharmonie links, Hofjägerallee rechts, um den großen Stern ins Hansaviertel und die zweite rechts.«
Franke sah Schulz bewundernd an. Sie jagten durch den verschneiten Tiergarten. Franke hatte den Ehrgeiz, als erster am Tatort zu sein.
»Wahrscheinlich is ’n Vogel vor ’ne Scheibe geflogen«, sagte Schulz.
»Klar! Nach ’ner längeren Weihnachtsfeier hatte der die Orientierung verloren.«
Schulz war beleidigt. Leck mich, dachte er und starrte nach draußen.
Auf dem Parkplatz der Akademie der Künste stand schon ein grün-weißer Bus mit offenen Türen. Hinter dem Gebäude flackerte eine Taschenlampe.
»Da muß die Kripo ran«, sagte ein Kollege zu Franke und Schulz.
»Was is ’n los?« fragte Franke.
»Sauberer Einbruch.«
»Ich verständige mal die Zentrale«, sagte Schulz und ging zurück. Die Blaulichter der Polizeiwagen beleuchteten in schneller Folge den Tatort.
Wahrscheinlich hatte Lacan eine jener Sirenen gehört. Hätte man ihn angehalten und aufgefordert auszusteigen, hätte er gesagt:
»Tut mir leid, ich kann nur noch sitzen.«
Verzweifelt versuchte er, die Fahrbahn und die anderen Wagen zu erkennen. In der Nähe seiner Wohnung stellte er den Opel in die erstbeste Parklücke und wischte über seine verschwitzte Stirn. Er drehte sich zu Hartmann um.
»Los, Roland, aufwachen, wir sind da.«
Hartmann rührte sich nicht. Er schien eingeschlafen zu sein.
»He, Hartmann, wir gehen jetzt ins Bett. Los, oder glaubst du, ich schlepp’ dich nach oben?«
Keine Reaktion.
»Meinetwegen schlaf doch im Auto.« Er zögerte einen Moment. »Das wird aber kühl, das sag’ ich dir.«
Hartmann grunzte merkwürdig und zog sich den Mantel zu.
»Na ja, erfrieren wirst du schon nicht«, murmelte Lacan, als er mit dem Bild ausstieg.
Er taumelte an den Hauswänden entlang und erinnerte sich schon an nichts mehr. Mühsam schloß er die Wohnung auf. Er ließ das Bild einfach fallen, schmiß sich aufs Bett und schlief sofort ein.
Warum mußte ein Tag, der nicht schlecht angefangen hatte, so enden?
Zweiter Tag und zweite Nacht
»Beim nächsten Ton des Zeitzeichens ist es 10 Uhr, 16 Minuten und 50 Sekunden«, quäkte die Stimme der Ansagerin. Verschlafen legte Wilhelm Mertens den Hörer auf die Gabel zurück und überlegte, welches Gesicht zu dieser Stimme gehörte. Wahrscheinlich eines, das ihn an seine Mutter erinnerte, die ihm morgens manchmal einen nassen Waschlappen durchs Gesicht gerieben hatte.
Er war immer ein schlechter Schüler gewesen, eher faul als dumm oder unbegabt. Nachdem er durchs Abitur gefallen war, hatte er eine Lehre als Großhandelskaufmann begonnen. Er machte sich selbständig, als er begriff, daß man kein Geld verdient, solange man die Bilanzen anderer in eine alte Rechenmaschine tippt.
Bei einer Tasse Kaffee studierte er seinen Terminkalender. Seine Küche beherbergte nur das Allernotwendigste. Mehr als drei Personen hätte er nie bewirten können, aber mehr als drei Gäste waren auch nie da. Die Stahlrohrstühle um den flachen weißen Tisch hatte er nur gekauft, weil Florence sich weigerte, auf einem
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