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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
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Treppenabsatz, einen Finger auf dem Minutenlicht, um nicht überrascht zu werden.
    »Ich will diesen Kerl hier nicht mehr sehen!« schrie ein Vater. Schluchzen.
    »Ein Nichtsnutz ist das!«
    Das Schluchzen wurde stärker, dann polterte es, als würde gerungen. Oben ging das Licht an, und eine Türe schlug. Lacan lief auf die Straße.
     
    Aus dem Schaufenster der Galerie fiel gleißendes Fernsehlicht auf den breiten Gehsteig des Boulevards. Ein paar Schaulustige drückten sich die Nasen platt; eine Ausstellungseröffnung bei Lydia Wenzel war Stadtgespräch, seitdem auch Studienräte durchs Feuilleton erfuhren, daß die Krönung der Moderne die Acrylmalerei der jungen Wilden war.
    Lacan mischte sich unter die Gaffer vor den Fenstern. Am Eingang stand ein schöner Afrikaner und kontrollierte die Gäste: anerkannte Künstler und Exoten, Sammler und solche, die gerne dafür gehalten würden, Zahnärzte, Internisten, Rechtsanwälte nebst zugeschminkten Gattinnen, und mittendrin der dicke Fluxusmann mit Tatarenkäppi und pelzverbrämtem Umhang.
    Unter den meisten Bildern klebte schon der magische rote Punkt, woraus man die Bedeutung der Kunst im allgemeinen und des Empfangs im besonderen ablesen konnte. Lacan löste sich von den Ausgeschlossenen und suchte in seiner Jacke nach der Einladung, als plötzlich jemand von drinnen an die Scheibe klopfte. Es war Lydia Wenzel, die ihm zuwinkte. Unsicher trat Lacan zum Eingang. Lydia schob den Schwarzen beiseite und zog ihn hinein. Noch ehe er sich über ihre aufgedrehte Freundlichkeit wundern konnte – er kannte sie kaum, hatte sie lediglich ein- oder zweimal mit Florence gesehen –, stürzte ein Wortschwall über ihn, daß er unwillkürlich den Kopf einzog.
    »Mein Gott, wie siehst du denn aus? Deine Lippe und dein Auge, ach wie süß, hattest du einen Unfall?«
    Lacan lächelte gequält. Über eine Ausrede hatte er nicht nachgedacht. Lydia plapperte weitere zwei Sätze und ließ ihn stehen. Er sah sich um.
    Die meisten Gäste schoben sich durch den Raum zum Buffet und wieder zurück, schöne Mädchen boten auf großen Tabletts Getränke an, ein Fernsehteam hatte seine Geräte aufgebaut. Lacan schlenderte an den Bildern vorbei, auf denen dickpinselige Strichmännchen die Erinnerung an Höhlenmalerei beschworen. Wenningstedt gab mit glasigen Augen ein Interview.
    Es dauerte einige Zeit, bis er Florence entdeckt hatte, die auf einen Mann mit schütterem blonden Haar einredete. Lacan kniff die Augen zusammen, der Mann war Wilhelm Mertens. Florence schien ihm etwas zu erklären, das schloß Lacan aus ihren aufgeregten Handbewegungen. Er bewegte sich in einem weiten Bogen um das Paar. Also war gestern abend doch Mertens in ihrer Wohnung gewesen! Mertens hatte die Hände lässig in die Hosentaschen gesteckt und wippte auf den Absätzen. Jetzt stand Lacan genau hinter ihm. Manchmal tauchte Florence’ Kopf über seiner Schulter auf. Als Mertens etwas zu ihr sagte, zuckte sie zurück, als habe sie ein Schlag getroffen. Lacan drängte sich rasch durch die Menge und erschien neben ihnen. Florence’ schwarze Haare glänzten im Licht der Deckenstrahler.
    »Ich brauche euch nicht bekanntzumachen?« fragte sie.
    »Nicht nötig«, sagte Lacan.
    »Wir kennen uns flüchtig«, schmunzelte Mertens unverschämt.
    »Du entschuldigst uns einen Augenblick?«
    »Sicher«, sagte Mertens und sah sich nach Rita um.
     
    »Was hast du denn gemacht? Das sieht ja schrecklich aus!«
    »Halb so wild.«
    »Bist du hingefallen?«
    »Die Treppe rauf.«
    »Eine lange Treppe?«
    »So isses!« sagte Lacan ganz ruhig. Ein Mädchen hielt ihr Tablett unter sein Gesicht, er nahm ein Glas Wein.
    »Was ist mit deiner Lippe?«
    »Auf Granit gebissen.«
    »So sieht’s auch aus.«
    »Übertreib’ nicht!«
    »Dir ist was aufs Gesicht gefallen?«
    »Das könnte man sagen, ja.«
    Behutsam strich Florence über seinen Mund. Lacan war des Themas müde. Ihn interessierte etwas ganz anderes.
    »Was ist mit Mertens?«
    »Was soll mit ihm sein?«
    »Wie gut kennt ihr euch eigentlich?« fragte Lacan, ohne eifersüchtig zu sein.
    »Ach Bernhard, das habe ich dir doch schon einmal erklärt.« Florence machte eine Pause, dann sagte sie in einer Verbindung aus Trotz und Geständnis:
    »Außerdem hatte er früher geschäftlich mit meinem Vater zu tun. Reicht das?«
    Lacan nickte ungläubig. Sie hatte ihm bisher wenig von ihrem Vater erzählt und sicher nichts von seiner Beziehung zu Mertens.
    Lacan hörte nicht mehr hin, als sie ihm

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