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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
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flüsterte er beschwörend, als riefe der Name die Einzelheiten der letzten Nächte zurück. Langsam drehte er das Bild und hielt es gegen das Licht. Eine eigenartige Faszination ging von den Fabeltieren aus. Ein Haus müßte man haben, dachte Lacan, mit vielen Bildern an den Wänden und Büchern und Geld. Hastig legte er das Bild wieder in den Kühlschrank. Er duschte so heiß es möglich war und zog sich an. Vor dem Spiegel im Flur entschied er sich für die häßlichste seiner drei Sonnenbrillen, ein zwanzig Jahre altes Modell in Tropfenform, das damals als Pilotenbrille verkauft wurde.
    Er verließ das Haus durch den Hof, sprang über das Mäuerchen und trat auf die Seitenstraße. Das getönte Glas verwandelte den dunstigen Smoghimmel in eine amerikanische Nacht. Lacan sah über die dünne Metallfassung einmal kurz nach oben, das reichte. Ihn wunderte aufs neue, daß in Berlin während dieser langen Winter nicht der kollektive Wahnsinn ausbrach.
    An einem Kiosk kaufte er Zeitungen und in einem Supermarkt frische Krabben und ein Baguette. Die Kassiererin sah ihn aus ihrer Dallas-Föhnwelle beirrt an.
    »Dit blendet draußen tierisch, wa?«
    »Aber hallo!« Die geschwollene Lippe schmerzte beim Reden. Lacan klemmte das Brot unter den Arm und lief nach Hause.
    Alle taten das, was sie immer tun. Ein Stadtstreicher, dessen verfilzter langer Bart und dessen Haare auf unnachahmliche Weise zusammengewachsen waren, humpelte ihm entgegen. Lacan steckte ihm eine Mark zu. Auch Mitleid war etwas, das man noch besaß.
    Im Treppenhaus öffnete Lacan die Eingangstüre einen Spalt. Mahmut machte Mittagspause, und Siebert räumte Leergut in seinen Lieferwagen; der Verkehr rollte gleichmäßig hin und her.
    Lacan blätterte in den Zeitungen. Nirgendwo ein Artikel, selbst in der Boulevardpresse nicht, lediglich der trockene Polizeibericht im ›Tagesspiegel‹. Der Druck in seinem Kopf ließ nach. Er brach das Brot und fischte mit spitzen Fingern Krabben aus der runden Plastikschale.
    In der Küche leerte er die Eiswürfellade aus dem Gefrierfach mit einigen kräftigen Schlägen auf den Rand der Spüle. Die gefrorenen Stücke füllte er in eine Einkaufstüte und kroch ins Bett, die Tüte auf dem Gesicht. Er dachte an die Ausstellungseröffnung heute abend und an das Konzert danach, auf dem er Irene treffen könnte. Irene und Florence. Dann schlief er wieder ein.
     
    Lacan brauchte ein paar Sekunden, um das Geräusch zu erkennen. Schlaftrunken hangelte er sich an der Telefonschnur entlang, die um Ecken bis unter seinen Schreibtisch führte. Er knipste die Lampe an, deren Kegel auf seinen nassen Oberkörper fiel. Die Eiswürfel waren geschmolzen und aus der Tüte gesickert. Naß hockte er da, und das Telefon schellte immer gereizter. Er riß sich zusammen und rief laut: »Lacan!« in die Muschel.
    »Aha, der Künstler schläft noch«, sagte die wohlbekannte Stimme – Valeska hatte er völlig vergessen.
    »Bernhard, bist du noch dran? Wach werden!«
    »Ich habe nicht geschlafen, das Telefon war …«
    »Ich weiß, auf der Straße.«
    Lacan haßte sein schlechtes Gewissen. Während seine Exfrau auf ihn einredete, erinnerte er sich an die quälenden Szenen im Beichtstuhl, in den man ihn als Kind alle zwei Wochen gezwungen hatte, und an die endlosen Vaterunser, die er zur Buße für erfundene Sünden vor den Bildern des Kreuzwegs beten mußte. Mit zehn hatte er den Schwindel durchschaut, mit elf war er zum letzten Mal in der Kirche gewesen, trotzdem spürte er heute noch die Macht der Raben über die Seele, obwohl er in diesem besonderen Fall unschuldig war.
    »Was willst du eigentlich?« unterbrach Lacan ihren Schwall, heftiges Atmen am anderen Ende der Leitung. »Mein Geld!«
    »Bekommst du doch!«
    »Entschuldige, wenn ich mich wiederhole«, sagte Valeska aufgesetzt, »aber ich habe bei meiner Bank angerufen, da ist noch nichts.«
    »Das dauert doch einige Tage, bis eine Gutschrift verbucht wird.«
    »Du hast das Geld also eingezahlt?«
    »Hatte ich dir doch versprochen.«
    Valeska lachte grell.
    »Morgen oder übermorgen muß es dasein«, sagte Lacan.
    »Sicher?«
    »So sicher wie das Amen in der Kirche.« Lacan hörte Stimmen im Hintergrund.
    »Ich verlasse mich auf dich!«
    »Verlaß dich!«
    Valeska sagte etwas zu einer der Stimmen und dann:
    »Ich melde mich bei dir.«
    »Tu’ das.«
    »Mach’s gut!«
    »Du auch.«
    Lacan ging ins Bad und besah sein Gesicht unter dem blau-weiß-grünen Neonlicht. Die Schwellung der Lippe war

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