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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
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durch den Eisbeutel zurückgegangen, aber man sah noch, daß ihn jemand empfindlich getroffen hatte. Während das Badewasser einlief, schlich er durch die Wohnung. Der abgeknickte Arm des Plattenspielers hing trostlos vor der Konsole.
     
    Oberst Nikolai Koljatow hatte einen furchtbaren Tag hinter sich.
    Als Oleg ihn am Morgen wachrüttelte – der Wecker hatte zerbrochen vor dem Nachttisch gelegen –, näherte er sich gerade dem Zentrum des Hurrikans, oder besser: dem schwarzen Trichterloch des Mahlstroms. Mit aufgerissenen Augen starrte er Oleg an, der genau wußte, was von ihm erwartet wurde. Er hielt ein frisches Glas Bier in der Hand. Wünsche für das Frühstück winkte Koljatow schwach ab. Auf einem Stuhl waren Uniform und Wäsche gerichtet. Beim Ankleiden mußte er sich an der Lehne abstützen. Dem Bericht einiger Offiziere eine Stunde später hatte Koljatow kaum folgen können, jedes Wort war ein Hammerschlag auf seinen Kopf gewesen. Zu Mittag hatte er Natriumkarbonat gelutscht, ein wenig geruht und dann in seinem Büro Akten abgezeichnet. Statt des Tees hatte er ein weiteres Bier getrunken und sich bei Oleg eingelegte Heringe und Schwarzbrot bestellt.
    Die Heringe schwammen in Öl, Lorbeerblättern und Zwiebelringen. Koljatow saß in seinem Zimmer und tunkte mit der Gabel Schwarzbrotstücke in den kalten Sud. Der Sturm hatte sich gelegt, nur im Hinterkopf war noch ein leichtes Sausen und Rauschen zu spüren.
    Er blätterte in Hochglanzprospekten amerikanischer Firmen. Zum wiederholten Male mußte er sich Statistiken und Einkommensscheren, Rassismus und zwanzig Prozent Analphabeten vorstellen, um nicht in nagenden Defaitismus zu verfallen. Die Heringe waren köstlich, Oleg verfügte über unglaubliche Beziehungen zur Küche des Offizierscasinos. Nach dem Essen spürte Koljatow, daß seine Physis für einen Wodka gerüstet war. Der erste Schluck besiegelte einen neuen Frieden mit der Welt, da fiel ihm die Verabredung mit Grassow ein. Er wußte nicht mehr, was sie sich noch zu sagen hätten.
     
    Alle machen weiter. Der Himmel, der Schnee, der Frost, die Laternen und die Straßen, die Menschen, die Autos, die Dämmerung und die Nacht. Die Tage reihen sich aneinander, werden länger und wieder kürzer, Geschäfte öffnen und schließen, und alles hat seine Richtigkeit. Im Ostteil der Stadt lagen der junge Mann und seine Freundin in der Charité, Kanülen im Arm. In einigen Wochen würde ein Prozeß stattfinden, und niemand würde Notiz davon nehmen.
    Auf den hölzernen Podesten am Brandenburger Tor standen die letzten Touristen, die dunklen Baumkronen des Tiergartens im Rücken, und fotografierten über die im Halbkreis laufende Mauer. Zwischen den mächtigen Säulen des Tores sah man die Lichter Unter den Linden und weiter hinten ganz klein das Reiterstandbild Friedrichs  II . Rote Fahnen knallten frostig vor die weißen Masten, die das Tor auf der Ostseite flankierten. Ein Jeep fuhr Patrouille.
    Aus den Luftschächten der U-Bahn preßten die gelben Züge abgestandene, nach Gummi riechende Luft, und dann bebte das Straßenpflaster. Die Menschen fuhren von der Arbeit nach Hause, und aus den Fenstern flimmerte das Blau der Fernsehgeräte und wurde von der frühen Nacht geschluckt.
     
    Franz Belasc schlenderte über den Tauentzien und betrachtete die Auslagen. Neben dem vergoldeten Gitter vorm Eingang des KaDeWe stand in einer Bäckerjoppe noch ein Brezelverkäufer, auf dessen wuchtigem Schädel schräg ein weißes Schiffchen saß. Belasc gab ihm fünf Mark, und der alte Brezelverkäufer verbeugte sich. An der Urania stapelten sich kalt und klotzig Verwaltungsbauten, die Straßen kreuzten sich sechsspurig. Gleich dahinter begann das Revier des Sex. Lederbars, Peep-Shows und Stundenhotels lagen in den Seitenstraßen, Frauenmänner mit Silikonbrüsten versteckten sich in den Hausaufgängen.
    »He, Süßer, komm doch mal her!« und »Willst du mal was sehen?« riefen sie ihm zu, und Belasc warf lachend eine Kußhand ins Halbdunkel. Kurz vor der Potsdamer Straße betrat er einen Imbiß, in dessen Schaufenster kleine Plastikwannen mit Gurkenscheiben, gehacktem Weißkohl, Zwiebeln und Auberginen standen. »Kebab-Station« strahlte über die schmutzigen Wagendächer auf die Fahrbahn.
    Der An- und Verkaufjuwelier lehnte an einem Stehtisch und trank seinen Feierabendraki. Belasc bestellte Börek, Bier und Salat. Der Türke warf die gefüllte Teigrolle in den Mikrowellenherd und holte eine Büchse Bier aus dem

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