Sünden der Faulheit, Die
mit blutunterlaufenen Augen.
»Ist besser als das von gestern!«
»Weißt du woher? Rätst du nie.«
Lacan wollte gar nicht raten.
»Von Schwietzke, der Nuß. Da staunste, was? Der ist jetzt groß im Geschäft.«
Lacan bewegte die Finger, als zähle er Geld.
»Entweder man kann würfeln oder man kann es nicht«, sagte Keitel, und Jan führte den Satz zu Ende:
»Und wenn man es nicht kann, soll man es bleiben lassen!«
Die Kellnerin stellte das Bier vor ihnen ab.
»Hallo, Bernie!«
»Hallo, Anke!«
Die Situation wäre unangenehm geworden, wenn sie sich an Roland Hartmann erinnert hätte, doch Lacan hatte diese Möglichkeit schon verdrängt, als er die Domino-Bar betrat. Er griff seine Flasche Beck’s, und die beiden anderen nahmen ihn wie auf ein Zeichen hin wieder in die Zange.
»Sag schon, wo hast du die Lippe her?«
»Eddie ist mit ’nem starken Mann aufgetaucht«, gestand Lacan.
»Was? Eddie? Greffrath, die Kanalratte?«
»Die haben mich heute morgen kalt erwischt.«
Jan drückte ihn verständnisvoll.
»Wieviel hast du denn offen?«
»Zwölf«, nuschelte Lacan verschämt.
»Zwölf Mille? Sooviel? Bei den Verbrechern?«
»Eddie? Seit wann arbeitet der denn mit jemandem zusammen?« fragte Keitel. »Wißt ihr eigentlich, daß der in meinem goldenen Notizbuch ganz oben steht?«
Lacan betrachtete Keitels breite Schultern und wünschte sich, Keitel würde noch in dieser Nacht Eddie und seinen Kumpanen in einer dunklen Toreinfahrt treffen.
»Na ja, alleine müßte Eddie seinen Kunden bis zum Jüngsten Gericht nachlaufen.«
Das Kokain machte Lacan gesprächig.
»Bis morgen abend muß ich fünf Riesen auf den Tisch legen. Oder ich schlafe aushäusig.«
Keitel pfiff durch die Zähne.
»Hast du’s?« fragte Jan überflüssigerweise.
Lacan sah ihn mitleidig an.
»Wir könnten dir was vorstrecken.«
»Vergiß es!«
»Oder wir kommen mit zu dir.«
»Mensch Keitel, hinterher hab’ ich dann auch keine Wohnung mehr.«
»Ziehst du ins Hotel!«
»Zweieinhalb könnten wir lockermachen.«
»Vergiß es. Ich kann’s sowieso nicht zurückzahlen.«
»Dann laß uns einen trinken. Auf unsere Rechnung!«
Jan zog geräuschvoll die Nase hoch.
»Très charmant«, flötete Keitel, der in seinem neuen Anzug wie der Leibwächter eines Mädchenhändlers aussah. Die drei tranken das Bier aus, und Jan orderte Nachschub. Lacan hätte es besser wissen müssen, doch nun war es zu spät. Keitel stolperte rückwärts. Eine Frau wich kreischend aus. Schlagermusik aus den Fünfzigern dröhnte vor die Plastikbahnen unter der Decke.
»Just another night, just another night …«, brüllte jemand am Ende des Raumes. Lacan spürte, wie er die Kontrolle verlor.
»Ich möchte mal dahin, wo ich noch nie war«, sagte die rothaarige Rita und schmiegte sich an Mertens.
»Wo warst du denn noch nie?« fragte er und winkte dem Kellner der Piano-Bar.
»Wo gehst du denn sonst hin um diese Zeit? Ohne mich.«
Der Kellner brachte die Rechnung, Mertens legte einen Schein auf seinen Teller.
»Laß dich überraschen«, sagte er dann und stand auf. Rita folgte ihm und drückte ihre großen Brüste vor seine Rippen.
Inzwischen: Lacan hatte noch mehr Kokain gesnifft und noch mehr Bier und Schnaps getrunken. Keitel und Jan zahlten. Die Droge beschleunigte den Rausch wie ein Katapult Flugzeuge auf einem Flugzeugträger, und sie löste die Zunge, wie man so sagt. Worte, Stimmen, Musik, Gesichter. Lacan hatte keine Freunde, er war allein. Jemand hörte ihm zu, nicht ausgeschlossen, daß es ihm genügte.
Beschleunigung: Es war ein Wunder, daß die Wände des kleinen Raumes noch nicht nach außen geklappt waren. Lacans Kopf brummte wie eine ramponierte Musicbox, er verstand sein eigenes Wort nicht mehr. Keitel hing in den Armen der Frau und rutschte mit ihr an dem langen Spiegel entlang. Ein Mann versuchte zwischen den staksenden Beinen der Menge einen Breakdance, die Gliedmaßen wie ein hilfloser Maikäfer von sich gestreckt. Man trug ihn in die Küche, wo er einschlief. Lacan konnte keine Einzelheiten mehr unterscheiden. Arme, Beine, Körper, Münder wuchsen zu einer kreischenden Hydra zusammen. Jan hing halb über ihm. Seine Pupillen rutschten in den Augen hin und her, wie es ihnen gefiel. Lacan griff nach einem einsamen Glas und trank daraus. Das lauwarme Bier schmeckte ekelhaft. Aus Jans Mundwinkel hing ein Speichelfaden, den er mit seiner Zunge einzufangen suchte. Weiter hinten stieg eine Frau auf die Bar und raffte ihren
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