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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
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Panzerschrank, holte eine Liste heraus und fuhr mit dem Finger die Tabelle entlang, bis er die Nachricht entschlüsselt hatte: Freitag, 11 : 30 , Interhandel Telemex.
    »Du kannst ins Bett gehen«, sagte Koljatow, und Oleg salutierte.
    »Tag und Nacht im Einsatz«, stichelte Grassow, als sich der Oberst wieder zu ihm an den Tisch setzte. Es ärgerte ihn, daß Koljatow vorhin so ausweichend geantwortet hatte. Koljatow spürte sein Mißtrauen. Sie hatten sich wahrhaftig nichts zu sagen, und der Oberst fragte sich, warum ihm das nicht schon vor vierzig Jahren aufgefallen war. Aber damals war Krieg, und sie waren jung. Vielleicht wird aber auch jeder Beamte früher oder später zum Idioten, oder vielleicht werden nur Idioten Beamte, es war müßig, den Gedanken fortzuspinnen. Bald darauf verabschiedete sich Grassow.
    In dieser Nacht lag Oberst Nikolai Koljatow lange wach im Bett, sein Japanisch-Lehrbuch auf den Knien, und träumte mit halbgeschlossenen Augen von einer endlosen Ebene und vom Himmel darüber, für den es im Russischen nur ein verneinendes Wort gibt, und seine Gedanken weigerten sich, das vertraute Bild zu verlassen.
     
    Bernhard Lacan besaß keine Erinnerung, in die er sich versenken konnte. Er hatte das Radio laut aufgedreht und fuhr schlecht gelaunt in die Innenstadt zurück. Er hatte das Gefühl, sein Kopf läge abgeschnitten in einem wattierten Karton.
    Null Uhr Nachrichten: Die Contras hatten in Nicaragua einen Hubschrauber abgeschossen, und irgendwo in Belgien war eine Bombe explodiert. Die Stimme des Sprechers klang durch die Lautstärke verzerrt. Wütend schlug Lacan vor die Mittelkonsole, bis das Radio verstummte. Er drehte das Seitenfenster herunter und streckte seinen Kopf, oder was er dafür hielt, in den eiskalten Fahrtwind.
    Sein Leben war eine Kette von Halbheiten, Mißverständnissen und Leichtsinn, und er ahnte, daß er nicht bis in alle Ewigkeit vor sich davonlaufen könne.
     
    In der Domino-Bar ging es hoch her. Lacan schob sich durch die Gäste nach vorne, als ihn jemand an seine Brust zog. Es war Keitel mit Schweißperlen auf der Stirn. Als er Lacans Lippe sah, wurde sein massiver Körper von einem Anfall geschüttelt, glucksende Laute drangen aus seinem weitgeöffneten Mund. Aus dem Hintergrund trat Jan und fragte über Lacans Schulter:
    »Was hat denn der Gute?«
    Lacan drehte sich um, nun lachte auch Jan.
    »Seid ihr verrückt?« fragte Lacan.
    Die beiden beruhigten sich, von links und rechts hatten sie ihre Arme um Bernhard gelegt.
    »Großkampftag in Charlottenburg?«
    »Hahaha«, sagte Lacan gedehnt.
    »Mensch, Bernie, was’n los?« fragte Jan und rüttelte ihn.
    »Nichts ist los. Ich habe Durst.«
    »He, Anke«, rief Keitel die Kellnerin. »Mach uns mal drei Große«, und zu Lacan gewandt: »Is doch recht, Alter, Osborne auf den Schreck?«
    Jan klopfte Lacan in den Nacken.
    »Bist du vor ’ne Laterne gerannt?«
    »Vor Glück vielleicht?«
    »Vor Glück, ja!«
    »Bernie ist verliebt!« grölte Keitel, und Jan bedeutete Lacan, ihn nicht mehr ernst zu nehmen. Sie stießen an, und Jan näherte sich Lacans Gesicht.
    »Ohne Flachs, Bernhard, deine Lippe sieht verdächtig nach Dresche aus.«
    »Als du gestern abend abgehauen bist, war doch noch alles in Butter, oder täusche ich mich?«
    Keitel sah Jan mit gespielter Bestürzung an. Lacans Augen wanderten von links nach rechts.
    »Ich hab’ die Potse aufgemischt. Mit allem Drum und Dran!«
    Jan preßte seinen bebenden Kopf vor Lacans Brust, und Keitel schnappte verzweifelt nach Luft. Jan faßte sich als erster und drückte Lacan ein Briefchen in die Hand.
    »Mach’ dich erst mal was frisch!«
    Keitel wischte eine Träne von seiner Wange. Lacan löste sich aus ihrem Griff und ging zur Toilette. Auf einem gekachelten Absatz öffnete er das Kuvert längs der Falzung: mehr als zwei Gramm lagen da auf einem ansehnlichen Haufen. Unschlüssig sah Lacan zur Decke. Mußte es sein? Es mußte heute abend sein! Mit seinem befeuchteten Zeigefinger stippte er in das Pulver und zerrieb die Droge auf dem Zahnfleisch. Seine Zähne wurden stumpf, und in der Haut, die sich über den Jochbeinen spannte, pulsierte das Blut.
    »Alles in Ordnung?« grinste Keitel, dessen Haare in alle Richtungen wiesen. Lacan nickte. Sein Mund war plötzlich wie ausgedorrt.
    »Drei Bier!« rief er in den Tumult. Seine Stimme hörte sich an, als käme sie vom Tonband. Er schnalzte mit der Zunge, aber der Pfropfen blieb in seinem Ohr.
    »Klasse Pulver, wa?« fragte Jan

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