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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
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Hosenbund.
    »Feuer?«
    Als er die Streichhölzer herausnestelte, zitterten seine Finger. Dann standen sie fröstelnd nebeneinander auf den Stufen zum »Tanzpalast«. Irene hatte ihre Lederjacke um die Schultern gelegt. Einige Punks schnorrten um Geld.
    »Ich unterhalte mich gerade«, fuhr sie einen von ihnen an, der erschreckt zurückwich.
    »Ich verstehe dich nicht«, sagte Lacan leise.
    »Wie bitte?«
    »Ich meine nur.«
    »Ich habe dich nicht verstanden«, sagte sie. »Akustisch«, und lächelte ihn an. Lacan wandte sich ab.
    »Ich bin nicht in Stimmung für solche Spiele.«
    »Soll ich dich bemitleiden?«
    »Sehe ich aus, als ob ich Mitleid bräuchte?«
    »Du siehst wie jemand aus, der in Schwierigkeiten ist.«
    »Ach nein!« Lacan lachte. Irene schnippte ihre Zigarette auf den Bürgersteig und zog die Lederjacke an. Einen Moment dachte er daran, seinen Arm um sie zu legen, aber dann tat er es doch nicht.
    »Brauchst du Geld?«
    »Vergiß es, Irene«, sagte Lacan und sprang nach unten. Sie kam ihm hinterher.
    »Du steckst diesmal ganz schön tief drin, was?«
    Lacan strich seine verschwitzten Haare aus der Stirn. Schneeflocken stoben über die Straße, ein Hund schnappte wie närrisch nach ihnen. Auf der anderen Seite parkte jene unvermeidliche Wanne, durch deren vergitterte Fenster bleiche Polizistengesichter auf das Treiben vor der Halle stierten. Vor der Kebabbude am Heinrichplatz blieb Lacan stehen.
    »Bis zum Kragen«, sagte er und trat vor eine leere Büchse. Irene umarmte ihn.
    »Ich würde dir gerne helfen.«
    »Warum?«
    »Weil ich dich mag!«
    Aus Lacans Körper wich die Spannung, und er sackte ein wenig zusammen. Was Irene sagte, hörte sich einfach und richtig an; aber so einfach ist es eben nicht, dachte er. Sie drückte ihn fester, und er legte seinen Kopf auf ihre Schulter. Er mußte diese Geschichte alleine hinter sich bringen.
    »Ich kann dir also nicht helfen?«
    Irene ließ ihn los und sah ihn fragend an. Lacan schüttelte den Kopf. Diesmal küßten sie sich vorsichtig und zärtlich, wirklich zärtlich, und Lacan spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Er mußte dringend etwas trinken, und er wußte auch schon wo.
    »Kommst du mit?« fragte Irene.
    »Ich kann nicht.«
    »Du mußt noch was erledigen?«
    Lacan wußte nicht warum, aber es ging nicht anders.
    »Wollen wir am Wochenende etwas unternehmen?« fragte er.
    »Mein Sohn ist bei mir.«
    »Und?«
    »Nichts und. Soll ich dich anrufen?«
    »Ich komme morgen im Sender vorbei.«
    Irene küßte ihn auf die Stirn und ging, und Lacan stand allein im fahlen Licht der Kebabbude.
     
    Das sowjetische Offizierscasino war fast leer, Koljatow und Grassow saßen an einem der Tische, die längs an der Wand standen. Russische Schlagermusik tönte gedämpft aus einem Kofferradio hinter dem Buffet, wo zwei Küchenhilfen mit weißen Häubchen auf die Sperrstunde warteten. Der Aschenbecher vor Koljatow und Grassow war den ganzen Abend noch nicht geleert worden, und Grassow schob seine Zigarette in die Asche wie in einen Sandhaufen.
    »Wie lange mußt du noch hierbleiben?«
    Koljatow zog die Schultern hoch und beugte sich vor zu seinem Glas.
    »Ein Jahr, vielleicht zwei.«
    »Und dann?«
    »Ins Ministerium nach Moskau. Wer weiß?«
    »Seltsam, daß wir uns nie getroffen haben.«
    Koljatow lachte. »Seltsam, ja.« Er hatte den obersten Knopf seiner Uniform geöffnet; auf seiner linken Brust hing die Medaille mit dem Leninkopf.
    »Hast du nie daran gedacht aufzuhören?« fragte Grassow.
    »Womit?« Koljatow fiel in den Sessel zurück.
    »Ich bin seit dem Krieg allergisch gegen Uniformen, jedenfalls, wenn ich eine anziehen soll.«
    »Was ist das?« Koljatow wies auf das silberne Parteiabzeichen an Grassows Revers.
    »Auszeichnung der Arbeiterklasse.«
    »Red’ keinen Unsinn.«
    Grassow trank Koljatow zu. Dann fragte er unvermittelt: »Sag mal, Nikolai, wie sieht’s eigentlich im Westen aus?«
    »Wie meinst du das?«
    »Na, du fährst doch öfter rüber.«
    »Ich sehe nicht so viel.«
    »Und die Menschen?«
    »Gehen auf dem Trottoir hin und her, haben warme Mäntel an und unterscheiden sich nicht von denen in Minsk oder Kiew.«
    Oleg, Koljatows Bursche, erschien und bat den Oberst ans Telefon. Koljatow lief eilig über den nachlässig gepflasterten Innenhof zu seinem Büro und nahm den Hörer von der Gummiunterlage seines breiten Schreibtischs. Am anderen Ende war der Kurier. Koljatow antwortete vorschriftsmäßig. Danach öffnete er seinen kleinen

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