Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
Vom Netzwerk:
Rock. Sie begann zu tanzen und stieß spitze Schreie aus. Lacan starrte mit größter Anstrengung auf die wohlgeordneten Flaschen in dem Wandregal, um sein Gleichgewicht wiederzufinden. Dann brüllte er: »Taaxi!« Jan erwachte, wischte mit dem Handrücken über seinen Mund und schrie: »Zwei Sambucca!«, und die Kellnerin, den Telefonhörer in der Hand, nickte lachend. Jan nahm Lacans Kopf in die Hände, oder genauer: Er hielt sich an Lacans Kopf fest und sagte mit ein paar kleinen Pausen:
    »Denn machs ma gut … alter Räuba … und laßda de Scheiße nich übert Gesicht wachsn.«
    Die Sambucca kamen. Jan verfehlte seinen Mund und kippte nach hinten. Lacan bekam ihn zu fassen und zog ihn wieder auf den Hocker.
    »Paß auf!«
    Jan hob den Zeigefinger. »Paß du auf!«
    Der Taxifahrer brachte Lacan nach draußen. Anke rief ihm nach:
    »Bring mal deinen netten Freund wieder mit!«
    Jan ließ den Kopf hängen und murmelte: »Klettermaxe«, dann lauter »Klettermaxe!« und wurde von einem idiotischen Lachen geschüttelt.
    Der Taxifahrer half Lacan auf die Rückbank, als hinter ihnen ein anderes Taxi hielt.
    Mein Gott, Lacan, bist du besoffen, dachte Mertens. Bevor sie die Bar betraten, drehte er sich noch einmal um. Lacan hing mehr im Wagen, als er saß, sein wackelnder Kopf tauchte kurz im Fenster auf.
    Als Mertens schellte, fragte Rita:
    »War das ’n Bekannter von dir?«, und Mertens antwortete:
    »Wo denkst du hin, mein Goldstück.«
     
    Es war weit nach Mitternacht. Kein Licht mehr am Himmel. Die Schneehaufen lagen düster am Straßenrand. Im Arsenal der Stadtreinigung wurden die Streufahrzeuge mit Granulat gefüllt. Ein Teil der Menschen lag im Bett und wurde von Träumen geschüttelt, ein Teil arbeitete und trank. In Berlin trank jeder, oder nahm Drogen. Wer es nicht tat, war schon tot oder lebte nicht mehr hier. Kadaverstadt. Man mußte sich rechtzeitig entscheiden.

Vierter Tag und vierte Nacht
    Es war ein klarer, heller, wolkenloser Wintermorgen. Die Sonne stand tief über der Stadt, und ihre Kontur zerfloß in den Himmel. Über Nacht hatten Spree und Havel wieder eine Eisdecke bekommen, und auf dem hartgefrorenen Schnee glitzerten spitze Kristalle. Florence Blumenfeldt zog ihren Schal über den Mund. Ihr Atem verfing sich in der Wolle und taute Lippen und Nase auf. Noch in der Dämmerung hatte sie ihren Wagen vor Mertens’ Haus abgestellt und war den Kurfürstendamm hoch zum Halensee spaziert. Auf ihrem Gang am Ufer war ihr niemand begegnet, nur eine alte Frau, die schlaflos ihren Hund ausführte, hatte sie lange angesehen, als suche sie ein Gespräch. Als Florence sich umdrehte, stand die Frau unbeweglich vor der Silhouette einer Baumgruppe, und neben ihr saß auf seinen Hinterläufen ihr Hund, einen Gummiring im Maul.
    Über dem See lag ein Nebelteppich, der sich im Morgenlicht allmählich auflöste. Von der Stadtautobahn drangen Verkehrsgeräusche in die Idylle.
    Florence schlenderte zurück. In einem Café, das Tag und Nacht geöffnet war, trank sie eine Tasse Kaffee. Die letzten Gäste lungerten übermüdet an der Theke, ein paar Rocker in Jeansjacken mit abgeschnittenen Ärmeln spielten Pool-Billard.
    Plötzlich setzten sich zwei Araber an ihren Tisch. Sie tranken Tee und unterhielten sich laut in Arabisch.
    »Frühstück?« sprach der eine sie schließlich an.
    Florence reagierte nicht und zog an ihrer Zigarette.
    »Kann ich dir was spendieren?«
    »Danke für Ihre Mühe, aber ich habe schon gefrühstückt.«
    »Hast du was gegen uns?« fragte der andere, dessen Kopf eine Art Afro-Frisur schmückte. Als Florence nicht antwortete, versuchte er, ihre Hand zu fassen, doch sie zog schnell den Arm zurück.
    »Du hast was gegen uns«, fing der erste wieder an. Er hatte den Charme von abgestandenem Pommes-frites-Öl und bildete sich etwas darauf ein. Florence blickte zur Bedienung, die hilflos zurücksah. Sie steckte ihre Zigaretten ein, um zu gehen, da tauchte einer der Rocker an ihrem Tisch auf.
    »Gibt’s Ärger?«
    »Hau ab«, sagte der Araber mit der komischen Frisur.
    Ohne Vorwarnung schlug der Rocker zu, der Araber kippte samt Stuhl vor seinen Begleiter, und die beiden fielen auf den fleckigen Teppichboden. Als der erste hochsprang, traf ihn ein Billardqueue im Rücken. Mit einem Schrei knickte er neben seinem Freund zusammen, der sich heulend die Backe hielt; die Rocker standen im Kreis um die Araber.
    »Nu schmeißt se doch schon raus«, sagte eine Frau lakonisch und strich sich ihr langes

Weitere Kostenlose Bücher