Sünden der Faulheit, Die
gepflückt haben.«
»Das ist doch dummes Zeug.«
»Kann sein, kann nicht sein. Woher weiß er denn, daß das Bild geklaut worden ist?«
»Vielleicht siehst du dir heute mal die Schlagzeilen der › BZ ‹ an!«
»Ach ja? Egal! Heute, verstehst du, gestern wußte es keiner, gestern stand nur eine kurze Notiz im ›Tagesspiegel‹, und ausgerechnet die hat Lacan gelesen und sich dann eine Geschichte dazu ausgedacht? Das glaubst du doch selbst nicht.«
Florence schwieg mit bleichem Gesicht.
»Ich kenne alle Einwände«, sagte Mertens. »Suffgeschichten und so weiter und so fort. Dein Freund mag Fehler haben«, er sah sie bedauernd an, »aber ein Schwätzer ist er nicht.«
»Und warum erzählt er solch einen Blödsinn?«
Mertens lächelte böse.
»Koka macht gesprächig. Da sollen schon Einsiedler ihre Gelübde vergessen haben.«
»Was folgt daraus?«
»Daraus folgt, daß du ihm mal auf den Zahn fühlst. Sagt man so? Vielleicht ist an der Geschichte nichts dran, wenn aber doch … der Norddeutsche Lloyd ist nicht knausrig, erspart man ihm Schwierigkeiten.«
Wen willst du eigentlich erpressen? dachte Florence.
»Das hört sich alles unwahrscheinlich an.«
»Ich habe schon Pferde auf dem Weg zur Apotheke kotzen sehen, reicht das?«
»Das reicht!«
»Wir beide wären fein raus, wenn wir das Bild hätten«, sagte Mertens.
»Tatsächlich?«
»Daran besteht kein Zweifel!«
Florence schüttelte den Kopf.
»Warum soll ausgerechnet Lacan den Oelze geklaut haben?«
»Warum, warum? Ich bin kein Psychologe. Vielleicht hat er Schulden.«
»Es gibt einfachere Wege zum Geld, als nachts in die Akademie einzusteigen.«
»Interessiert doch alles nicht. Versuch’ rauszufinden, ob die Information stimmt – das ist wohl nicht zu schwierig. Du weißt doch: Besoffene und kleine Kinder sagen die Wahrheit.«
Florence war skeptisch, aber die Geschichte war zu verrückt, um völlig erfunden zu sein.
»Wann siehst du ihn?«
»Heute abend.«
»Sehr gut«, sagte Mertens, »ausgezeichnet.«
Mertens brachte Florence zur Tür.
»Es bleibt dabei?« fragte er.
»Natürlich«, sagte Florence und betrachtete im Vorübergehen einige Drucke an der Wand des Flurs.
»Die sind schön!«
»Keine Frage«, sagte Mertens gönnerhaft. »Guter Geschmack ist nicht alleine dein Privileg.«
»Ich glaube, Wilhelm, da stehen wir uns in nichts nach.«
»Deshalb passen wir ja so gut zusammen.«
Mertens nahm Florence in die Arme und versuchte, sie zu küssen, doch sie drehte ihren Kopf zur Seite. Sie trat zurück und sagte mit spitzem Mund:
»Was zu beweisen war!«
»Bis dann, amore!«
»Bis dann«, lächelte Florence, und Mertens schloß die Türe. Zwei Treppen tiefer saß Rita mit verflenntem Gesicht und sortierte den Inhalt ihrer Handtasche. Florence wunderte sich, daß sie noch nicht gegangen war, und setzte sich neben sie auf die Stufe.
»Der ist manchmal etwas komisch.«
»Hau ab, du Tussi!« blökte Rita.
»Dann eben nicht«, sagte Florence mitleidlos und verließ das Haus.
Der Heizlüfter konnte die Wände des Zimmers nicht trocknen. Von der Decke wellte sich die bunte Tapete bis zur Hälfte herunter. Umberto lag in Wolldecken gehüllt in einer Ecke, vor ihm auf den hölzernen Dielen flimmerte ein tragbarer Farbfernseher. Seit Wochen hatten er und May schon kein Geld mehr für Kohlen, seit zwei Tagen lebten sie von heißem Wasser, in das sie die Reste eines großen Bouillonwürfels bröckelten. Nebenan in der Küche stand Mays Synthesizer auf einem runden Blechtisch, den sie in einer Sommernacht vor einem Café geklaut hatten. Von dem Kopfhörer über Mays Ohren pendelte ein Kabel zu einer der vielen Buchsen im Aufbau des Geräts. Sie wiegte sich im Takt der programmierten Töne. Hinter ihr brannten zischend die vier Flammen des Gasherds.
Umberto und May hatten sich geschworen, den Synthesizer und die Rhythmusmaschine auf keinen Fall zu versetzen. Umberto hatte Fieber. Auf seiner Stirn stand Schweiß, und er fror. Umberto kam aus Bari und wollte um keinen Preis mehr dorthin zurück. May war Amerikanerin. Sie hatten sich in London im Vorzimmer eines Agenten für Studiomusiker kennengelernt. Beide hatten vergessen, warum sie vor einem Jahr nach Berlin gezogen waren. Durch den engen Schacht des Hinterhofs fiel nur wenig Licht, das von den Eisblumen an den Scheiben seltsam gefiltert wurde, so war es stets dämmrig in der kleinen Wohnung.
Umberto schaltete den Fernseher aus und pellte sich aus den Decken. In der
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