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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
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Küche hielt er die Hände über die Herdflammen, dann trat er zu May, die ihn in die Arme nahm.
    »I feel like shit«, sagte er.
    »What shall we do?«
    »Non lo so«, Umberto schüttelte resigniert den Kopf.
    »We need money.«
    »Really?«
    »There is nothing left to bring to the Pfandhaus?« fragte sie und preßte ihn an sich.
    »The television set.«
    »O no, not the television.«
    »Fucking city«, seufzte Umberto. »Schifo, schifo, schifo.«
    May ließ ihn los und klatschte in die Hände.
    »I’ve got an idea! Remember your friend from the radio. Let’s phone him, he’ll help us. Remember how he helped us last September.«
    Umberto sah sie aus geröteten Augen an.
    »Are you sure the telephone is still working?«
    »Come on, let’s try it. Where is the number?«
    Umberto entfaltete einen befleckten Zettel, der vor dem Fernsehgerät lag. May wählte, Umberto stand neben ihr, die Arme um den fiebernden Körper geschlungen.
    »He is not home.«
    »Of course he is at home. I think he is sleeping.«
    May gab die Hoffnung nicht auf. Sie drückte die Gabel herunter und wählte noch einmal.
     
    Zuerst glaubte Lacan, eine Sirene würde heulen, und er zog ein Kissen über die Ohren, aber eine Sirene konnte unmöglich in seinem Schlafzimmer sein. Allmählich drang der Verkehrslärm in sein Bewußtsein, auf der Kantstraße war Hochbetrieb. Mit verklebten Augen sah er zum Wekker: 11  Uhr  48 . Die Ziffern blinkten im Sekundentakt. Er schleuderte das Kissen ins Zimmer, ohne zu wissen, wo das verfluchte Telefon stand. Dann kniete er sich auf die Matratze und klemmte den Kopf zwischen die Beine. Seine Schläfen hämmerten. Das erste, was ihm einfiel, war der Termin mit Leschek, doch das hatte noch Zeit. Lacan schleppte sich in die Küche, fiel auf den Hocker und stützte den armen Kopf in die Hände.
     
    »I have a feeling that he is at home«, sagte May, nachdem sie den Hörer wieder aufgelegt hatte. »We’ll go to meet him.«
    Ihre Energie überwältigte Umberto. Sie krochen in ihre Pullover und Mäntel, und Umberto stellte den Heizlüfter ab.
     
    Das Letzte, an das Lacan sich erinnerte, war die Fahrt in die Domino-Bar, wo er, richtig, Jan und Keitel getroffen hatte, und das verteufelte Pulver. Als er darüber nachdachte, was sie so geredet hatten, wurde ihm heiß und kalt. Er hatte eine dunkle Ahnung, die er nicht wahrhaben wollte. Er wählte Jans Nummer. Es klingelte zwanzigmal, bis sich ein heiseres »Ja« meldete. Lacan räusperte sich.
    »Hhmmh, hier ist Bernie, alles klar?«
    Schlaftrunkenes Gestammel am anderen Ende, dann:
    »Bist du blöd, oder was?«, und heftiges Atmen.
    »Wollt’ nur mal fragen, wie’s denn so geht.«
    »Genauso schlecht wie dir«, röchelte Jan.
    »Ich meine nur … ich glaube, ich habe mächtige Scheiße gefaselt.«
    »Wissenschaftliche Vorträge hatte ich gestern nacht auch nicht erwartet«, sagte Jan ungehalten. »Kann ich jetzt weiterschlafen?«
    »Also, Jan, weißt du, ich kann mich nicht erinnern, was ich alles erzählt habe.«
    »Herrgott, ich auch nicht, und Keitel schon gar nicht. Was willst du eigentlich wissen?«
    »Ich, äh …, ich wollte nur fragen, ob ihr alles gut überstanden habt?«
    »Ich lebe noch!«
    »Na, denn schlaf weiter. Bis bald.«
    Lacan hielt den Hörer noch einige Augenblicke am Ohr, nachdem die Leitung schon frei war. Beruhigt hatte ihn das Gespräch nicht. Er schluckte zwei Aspirin und duschte. Seine Knie waren weich wie Knetgummi. Bevor er die Wohnung verließ, warf er einen Blick in den Kühlschrank, wo kalt und friedlich ›Die Gehörnten‹ Richard Oelzes lagen.
     
    Im Treppenhaus zählte Lacan sein Geld; in der Jackentasche klimperten ein paar Münzen, alles zusammen 4 , 80 . Auf dem ersten Absatz blieb er stehen, weil ihn plötzlich schwindelte.
    »Wie ein alter Mann, Lacan«, sagte er zu sich selbst. »Mit Krampfadern und Arteriosklerose, es ist einfach widerlich.«
    Er stemmte energisch die Hände in die Hüften und sah zur Decke, von der Putz rieselte. Im obersten Stockwerk arbeiteten Handwerker, und aus ihrem Transistorgerät lärmte der Werbefunk, und dann spürte Lacan die Geldscheine in seiner Hosentasche. Mit spitzen Fingern zog er die beiden Fünfziger ans matte Flurlicht. Sie waren tatsächlich noch gerollt, und es gab nur eine Erklärung: Sie gehörten Keitel, und Lacan hatte sie auf der Toilette der Domino-Bar nach den letzten Lines eingesteckt.
    Keitel würde sie nicht vermissen, wenn er sie gestern nacht schon vergessen hatte.

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