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Sünden der Faulheit, Die

Sünden der Faulheit, Die

Titel: Sünden der Faulheit, Die Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Peltzer
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Er küßte Florence auf die Wange, setzte sich, und sie reichte ihm ihr Glas.
    Na gut, dachte Raimund, I’m loosing every battle but finally I’ll win the war, dann verschwand er.
    »Hattest du noch einen netten Abend?« fragte Florence.
    »Gestern? Ich kann nicht klagen«, schmunzelte Lacan, »und du?«
    »Das Übliche.«
    »Was ist das Übliche?« fragte Lacan boshaft.
    »Wir waren essen. Lydia, Wenningstedt und ein paar andere. Das weißt du doch schon.«
    »Wo?«
    »Ist das ein Verhör?«
    »Ich bin ganz einfach neugierig.«
    Florence reichte ihm die Karte.
    »Was nimmst du?« fragte Lacan.
    »Kräutersuppe und gekochte Zunge.«
    Lacan überflog die Karte. Es war hoffnungslos, das Essen nach den Preisen zusammenzustellen. Er hatte 100 Mark, und die würden für ihn reichen.
    »Kalbsroulade und vorher Salat.«
    Langsam füllte sich das Restaurant. Die meisten Gäste waren zwischen dreißig und vierzig, viele hatte man vor ein paar Jahren noch auf Teach- und Sit- und sonstwelchen Ins sehen können. Man kannte sich und schob sich Stellen, Aufträge und Stipendien zu, um die große Wohnung und das Häuschen in der Toskana zu finanzieren.
    Florence trank den Martini und fischte die Olive aus dem Glas. Lacan beobachtete erregt, wie die grüne Frucht in ihrem Mund verschwand und sie die fleischigen Lippen spitzte, um den Stein auszuspucken.
    »Ich verstehe dich nicht«, sagte sie und lehnte sich auf den Tisch.
    Ich mich auch nicht, wollte er sagen, aber dann verzog er nur den Mund.
    »Ich meine, du scheinst überhaupt kein Interesse zu haben voranzukommen.«
    Lacan räusperte sich.
    »Man sollte zumindest wissen, wohin man will.«
    »Genau das meine ich. Irgendwann kristallisiert sich doch, wie soll ich sagen …«
    »Ein Ziel heraus«, unterbrach er sie.
    »Meinetwegen ein Ziel.«
    »Welche Ziele hast du? Vielleicht färbt das gute Beispiel ab«, sagte Lacan sarkastisch.
    Florence sah ihn kühl an.
    »Ich habe dich gefragt.«
    Lacan dachte einen Augenblick nach.
    »Weißt du, wie für mich das Paradies aussieht? Ich liege auf einem bequemen Bett, lese die Bücher, die ich immer schon lesen wollte, jemand serviert die Spezereien des Orients, und neben dem Bett steht ein Telefon, das mich mit allen Rennbahnen der Welt verbindet.«
    »Wo steht das Bett?«
    Lacan lachte.
    »Wenn ich das wüßte!«
    Die Kellnerin brachte die Vorspeisen. Florence’ Suppe war grün und sämig, auf Lacans Teller waren fünf Stangen Spargel mit ein paar Avocadoschnitzeln drapiert, und er bekam Lust, sich alles auf einmal in den Mund zu stecken.
    »Eines immerhin steht seit heute fest.«
    Florence blickte von ihrer Suppe auf, die einem von Algen durchwucherten Tümpel glich.
    Lacan hob den Zeigefinger wie der Lehrer Lämpel.
    »Bei diesem Sender werde ich meine Mitarbeit einstellen.«
    Florence sah ihn entgeistert an.
    »Und dann?«
    »Und dann und dann … Nichts und dann!«
    »Aber du mußt doch …«
    »Ich muß nichts außer sterben, aber das müssen wir alle«, sagte Lacan und pickte eine schlappe Stange Spargel auf die Gabel. Er konnte sich nicht beherrschen und schnippte vor eines ihrer Enden, und die Stange wippte träge hin und her. Florence lachte.
    »Bernhard, bitte!«, doch dann lachte sie noch mehr, als er versuchte, das Ende mit seiner Zunge einzufangen.
    »Wie ist die Suppe?«
    »Erspar’ mir deinen Kommentar, ich weiß, was du sagen willst.«
    Lacan trank einen großen Schluck Wein und nickte anerkennend.
    »Warum hörst du da auf?« fragte Florence.
    »Ich bin 32 .« Weil sie nicht darauf einging, fuhr er fort. »Ein Kollege ist 35 und seit einem halben Jahr in den Zustand fortgeschrittener, hörst du, fortgeschrittener Paralyse eingetreten. Das will ich mir ersparen.«
    »Vergleichst du dich mit ihm?«
    »Oh«, stöhnte Lacan. »Oh, bitte!«
    »Was oh?«
    »Natürlich nicht, aber die Arbeit hängt mir zum Hals raus, und wenn ich ehrlich sein soll: Ich kann keine Musik mehr hören.«
    »Das ist ernst, allerdings.«
    Lacan drehte sein Weinglas und sah nach draußen. Auf der anderen Straßenseite rannte ein vermummter Mann, dem sein bellender Hund folgte.
    »Was willst du denn jetzt machen?« fragte Florence.
    »Keine Ahnung. Und du?«
    »Ich arbeite demnächst bei Professor Wagenknecht als Hochschulassistentin.«
    »Nicht schlecht«, sagte Lacan. »Und was ist mit Lydia?«
    »Das war doch nur ein besseres Hobby.«
    Ein teuer gekleidetes Paar betrat das Lokal. Der Mann trug ein Stöckchen mit Silberknauf unter dem Arm.

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